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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Autoren: Lesley Downer
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ehrlicher, kräftiger Junge. Wir brauchen jemanden wie dich. Du bist sicherlich besser als diese nichtsnutzigen Diener, die uns beim Angriff eines Wahnsinnigen im Stich gelassen haben. Wir brauchen einen zusätzlichen Mann. Lass mich wissen, mit wem ich sprechen sollte, und wir werden dir eine Stelle geben.«
    Nobu sah sie an und lächelte zum ersten Mal.

2
    Im Vorraum der Schwarzen Päonie war es inzwischen dämmrig geworden. Laternen flackerten auf, als Lampenanzünder die Dochte mit Wachsstöcken entzündeten, und der beißende Geruch von erhitztem Talg mischte sich mit dem Tabakrauch und dem kräftigen Aroma von gebratenem Fleisch.
    Nobu war den Rikscha-Ziehern und Dienern hinausgefolgt, hockte auf den Fersen und kaute an seiner Pfeife. Dort, wo er herkam, ernährten sich die Menschen von guten, einfachen Dingen – Reis, Tofu, Gemüse, Fisch –, dachte er, und nicht von geschlachteten Tieren.
    Rufe und Gelächter dröhnten aus dem Innenraum. Der Aufruhr schien bereits vergessen. Nobu rümpfte die Nase und starrte stirnrunzelnd auf die Stutzer in ihrer absonderlichen, engärmeligen Aufmachung, die mit fuchtelnden Händen und blitzenden Zähnen hinein und hinaus schlenderten und sich in höchster Lautstärke unterhielten. Sie kamen ihm vor wie Wesen aus einer anderen Welt.
    Seit er an diesem Morgen aufgewacht war, hatte er das Gefühl gehabt, etwas läge in der Luft. Das hätte am eisigen Wind liegen können, der durch die Türritzen pfiff, dem Krächzen der Krähen oder den quietschenden Karren der Straßenverkäufer und ihrem Singsang. »Geröstete Kastanien!« »Süßkartoffeln!« »Tofu!«
    Er hatte im überfüllten Wohnhaus der Iinuma-Familie am Ende einer schmalen Gasse in der »Unterstadt«, Tokyos heruntergekommenem Ostteil, gerade eine Schale Misosuppe getrunken, als der Hausherr, ein gebückter, verhärmter Mann mit altersfleckigem Kahlkopf, ihm mitgeteilt hatte, dass sie ihn einfach nicht länger bei sich behalten konnten. Dabei hatte er bedauernd den Kopf geschüttelt. Er könne kaum die eigene Familie ernähren. Nobu wusste, dass der Mann die Wahrheit sagte. Das Haus wimmelte von Kindern, und die Familie bestritt ihren kärglichen Lebensunterhalt mit dem Schneiden von getrockneten Tabakblättern. Nobu zog nun schon seit Jahren von Haus zu Haus. So war es eben, wenn man von Wohltätigkeit abhängig war.
    Iinuma-samas verhärmte Frau hatte ihre Hände an der Schürze abgetrocknet, Nobu ein paar Münzen in die Hand gedrückt und ihm von der Tür aus nachgewinkt, als er in dem Labyrinth der Gassen verschwunden war. Er war um ein paar Ecken gebogen und hatte sich dann, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte, auf den Weg zu Hiromichi Nagakura gemacht, dem ehemaligen Vizegouverneur der nördlichen Provinz Aomori und alten Freund seines Vaters.
    Nagakura, ein dünner Mann mit einem liebenswürdigen Gesicht und ständig verwirrtem Ausdruck, kleidete sich nach wie vor wie ein Samurai und bemühte sich nach Kräften, so zu leben, als hätte sich nichts verändert. Auch er hatte schwere Zeiten durchlebt, hatte Nobu aber in der Vergangenheit ausgeholfen. Er hatte ihm einen Brief an einen Mann namens Tsukamoto gegeben, der eine freie Stelle für einen Laufburschen haben könnte, wie er meinte.
    Nobu war quer durch die halbe Stadt gewandert, war durch hohe Blätterhaufen geschlurft, doch als er schließlich das Haus fand, hatte Tsukamoto, ein Mann mit breiter Stirn und säuerlichem Ausdruck, nur einen Blick auf ihn geworfen und gesagt: »Mach, dass du fortkommst. Für eine Vogelscheuche wie dich gibt’s hier nichts zu tun.«
    Eine Vogelscheuche wie dich … Nobu spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss, und er ballte die Fäuste bei dieser Beleidigung. Die Worte dröhnten in seinen Ohren, als er davonstolperte, sich kaum bewusst, wohin ihn seine Füße trugen. Er drängte sich gerade durch eine Menschenmenge, hörte um sich herum Stimmen und Gelächter, als ihn ein wild dreinblickender Mann mit einem halb hinter einem Tuch verborgenen Gesicht und zwei aus der Schärpe ragenden Schwertgriffen anrempelte und grob beiseitestieß. Nobu erkannte ihn sofort als einen Mann aus dem Süden, ein Mitglied des Satsuma-Clans, dem Ursprung von Nobus gesamtem Elend.
    In einem war sich Nobu vollkommen sicher: der Feind seines Feindes war sein Freund. Wen auch immer dieser Bursche angreifen wollte, Nobu würde ihn verteidigen und einem feindlichen Kinn wenigstens ein paar Boxhiebe versetzen. Blindlings war er
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