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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Autoren: Lesley Downer
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hinterhergestürzt, hatte im Vorraum kaum die in Panik geratenen Dienstboten wahrgenommen oder die Gäste, die ihre Tische zurückschoben und hektisch versuchten, dem Eindringling aus dem Weg zu gehen.
    Und nun sah es so aus, als hätte er dadurch eine Stelle bekommen.
    »Bist wohl ein echter Held«, sagte eine nasale Stimme. Ein dürrer Bursche mit wachsamen, eng stehenden Augen, dem sonnengebräunten Kahlkopf und den sehnigen Waden eines Rikscha-Ziehers stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. Seine indigoblaue Happi-Jacke war weit geöffnet, um die prächtige Tätowierung auf dem knochigen Brustkorb zur Schau zu stellen.
    »Bin einfach reingestürmt, ohne nachzudenken«, murmelte Nobu, den Blick auf den abgewetzten Holzboden gerichtet. Es brächte nichts, den Unmut des Burschen auf sich zu ziehen, was passieren könnte, wenn der Mann glaubte, Nobu wolle ihn bloßstellen.
    »Ein echter Glückspilz, was?« Der Rikscha-Zieher klopfte seine Pfeife im Aschekasten aus. Mit schmalen Augen musterte er Nobu und schenkte ihm dann ein zahnlückiges Grinsen. »Gonsuké mein Name. Viel an Habe hast du wohl nicht, was?«
    Wenn ich die hätte, würde ich keine Mädchen-Kimonojacke tragen, dachte Nobu säuerlich. Gonsukés prächtige Livree machte ihn verlegen. Die füllige Dame in dem grauen Kleid hatte den Restaurantbesitzer angewiesen, ihm etwas zum Anziehen und eine Mahlzeit zu geben und ihm dann stattdessen eine Stelle angeboten. Im Moment wäre ihm Kleidung und Essen lieber gewesen. Die Lehrburschen und Diener im Vorraum starrten alle auf seine absonderliche Kostümierung, und er merkte, wie sein Magen vor Hunger knurrte.
    Er hatte Glück gehabt, rief er sich ins Gedächtnis. Wenn er diesen Damen nicht begegnet wäre, hätte er die Nacht im Freien verbringen müssen, und es wurde sehr kalt.
    »Wohnen die hier in der Gegend?«, fragte er so beiläufig wie möglich. Er wollte nicht, dass der Mann erriet, wie verzweifelt er die Stelle brauchte.
    »Shinagawa, am Rand der Bucht, bei der Hinrichtungsstätte. Wo die Tokaido beginnt. Weißt du, wo das ist?«
    »Du meinst … die Satsuma-Residenzen?« Nobu starrte ihn betroffen an. Ihm wäre nie in den Sinn gekommen, dass diese Leute irgendwas mit dem Süden zu tun haben könnten. Schließlich sprach Gonsuké den breiten Edo-Dialekt, und eine Geisha erkannte Nobu auf den ersten Blick. In den rauen Stadtteilen, in denen er für gewöhnlich seine Tage und Nächte verbrachte, waren sie überall, doch diese Damen waren offensichtlich Geishas eines viel höheren Ranges. Sie hatten das typische Gebaren des Vergnügungsviertels von Kyoto. Die Große, Füllige mit der perlweißen Haut und den klassischen Geisha-Zügen hatte eines dieser modernen Kleider im westlichen Stil getragen, aufgebauscht wie eine Tempelglocke, wie es viele Geishas taten. Und was die Kleinere betraf, bei der war offensichtlich, was sie war – diese schimmernden, grünstichigen Lippen und die aufreizende Art, mit der sie den Kimonokragen im Nacken zurückzog und ihre Haar hochstrich, um die Haut dort zur Schau zu stellen.
    Die beiden jungen Mädchen hatten allerdings ein bisschen zu elegant für Geisha-Töchter ausgesehen. Aber Satsuma …? Die Frauen konnten Konkubinen eines der Satsuma-Anführer sein, nahm er an. Doch das ergab trotzdem keinen Sinn. Ein Satsuma-Ronin, der Satsuma-Damen angriff?
    Und angenommen, sie standen in Verbindung mit den Satsuma, wie konnte er bei ihnen eine Stelle annehmen? Ganz gleich, wie verzweifelt er war, nie im Leben würde er so tief sinken, für den Feind zu arbeiten, für die »Kartoffelsamurai«, die von ihren Kartoffeläckern im tiefen Süden ausgeschwärmt waren, um die Herrschaft über das gesamte Land an sich zu reißen. Inzwischen gab es kein Regierungsamt mehr, das sie nicht mit Beschlag belegten.
    Schlimm genug, ein Dienstbote zu sein, doch bisher war es ihm immer gelungen, Arbeit bei seinen eigenen Leuten zu finden. Selbst die verarmten Bewohner des Nordens brauchten Dienstboten. Für gewöhnlich konnten sie ihn nicht bezahlen, gaben ihm nur zu essen und einen Schlafplatz im Austausch für Putz- und Aufräumarbeiten und stellten meist nach kurzer Zeit fest, dass sie ihn sich nicht mehr leisten konnten. So war er stets wieder auf der Straße gelandet, hatte an die Tür der nächsten Person geklopft, die ihm empfohlen worden war, hatte um Arbeit gebeten oder wenigstens einen Schlafplatz.
    »Ich sag dir, die Götter werden auf dich hinablächeln. Weißt du denn nicht, wer unser
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