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Die Tochter des Magiers

Die Tochter des Magiers

Titel: Die Tochter des Magiers
Autoren: Nora Roberts
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Er hörte nichts. Doch Sekunden
später erklangen Schritte. Es klopfte, und Mouse trat ein. Er trug eine
braune Tüte, die bereits Fettflecken hatte, und aus der es duftete, daß
Luke das Wasser im Mund zusammenlief.
    »Vielen Dank, Mouse.« Aus den Augenwinkeln bemerkte Max, wie
Luke sich zusammenriß, um sich nicht sofort auf die Tüte zu stürzen.
    »Soll ich noch hierbleiben?« fragte Mouse.
    »Nicht nötig. Du bist bestimmt müde.«
    »Okay. Dann gute Nacht.«
    »Gute Nacht. Bitte«, forderte Max den Jungen auf, als Mouse
die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Bediene dich nur.«
    Luke griff hastig in die Tüte und zog einen Burger heraus. Um
sich nicht anmerken zu lassen, wie hungrig er war, nahm er langsam den
ersten Bissen, doch dann verließ ihn die Beherrschung, und er
verschlang den Rest. Max lehnte sich zurück und schwenkte mit halb
geschlossenen Augen seinen Brandy.
    Er frißt wie ein junger Wolf, dachte er, während Luke
ausgehungert den zweiten Burger samt einem Berg Fritten in Angriff
nahm. Max wußte sehr gut, wie es war, so ausgehungert zu
sein – nicht nur nach Eßbarem. In den Augen des Jungen sah er
eine Mischung aus Trotz und Verschlagenheit, doch dahinter entdeckte er
noch etwas anderes. Im Vertrauen auf seine Menschenkenntnis beschloß
er, ihm eine Chance zu bieten.
    »Ich betätige mich gelegentlich auch als Gedankenleser«,
erklärte er ruhig, »was dir vielleicht nicht bewußt ist.«
    Da er den Mund voll hatte, antwortete Luke nur mit einem
Grunzen.
    »Das dachte ich mir. Eine kleine Demonstration gefällig? Du
bist von zu Hause ausgerissen und schon seit einiger Zeit unterwegs.«
    Luke schluckte hastig. »Falsch geraten. Meine Leute haben eine
Farm ein paar Meilen von hier. Ich bin bloß auf dem Jahrmarkt gewesen.«
    Max öffnete die Augen. Sein Blick war merkwürdig bezwingend,
doch etwas anderes verstörte Luke noch weit mehr die schlichte
Freundlichkeit in seinen Augen. »Lüg mich nicht an. Andere ja, wenn es
sein muß, aber mich nicht. Du bist weggelaufen.« Luke hatte keine
Chance, ihm auszuweichen, als er blitzschnell sein Handgelenk packte.
»Sag mir, hast du eine Mutter, einen Vater oder Großeltern
zurückgelassen, die jetzt verzweifelt nach dir suchen?«
    »Ich hab doch gesagt …« Die geschickten Lügen, die
ihm sonst so leichtfielen, kamen ihm einfach nicht über die Lippen. Es
sind diese Augen, dachte er mit einem Anflug von Panik. Sie schienen
wie die Augen auf dem Plakat direkt in ihn hineinzuschauen und alles zu
sehen. »Ich weiß nicht, wer mein Vater ist«, stieß er zitternd vor
Scham und Wut hervor. »Wahrscheinlich weiß sie es selbst nicht.
Jedenfalls kümmert es sie nicht die Bohne, was mit mir ist. Vielleicht
tut's ihr leid, daß ich weg bin, weil jetzt niemand mehr da ist, der
ihr Schnaps holt oder eine Flasche für sie klaut, wenn sie gerade
pleite ist. Und dem Dreckskerl, mit dem sie lebt, tut's vielleicht
leid, weil er niemanden mehr hat, den er verprügeln kann.« Tränen
brannten in seinen Augen, aber er merkte es gar nicht. Die Angst, die
ihn wie mit Drachenklauen umklammerte, war viel zu groß. »Ich gehe
nicht mehr zurück. Wenn Sie mich dazu zwingen wollen, bringe ich Sie
um, das schwöre ich.«
    Max lockerte seinen Griff. Er kannte diesen Schmerz, den der
Junge empfand, nur zu gut. Den gleichen Schmerz hatte er in diesem
Alter erlebt. »Der Mann hat dich also geschlagen?«
    »Wenn er mich erwischen konnte«, erwiderte er voll Trotz und
blinzelte die Tränen weg.
    »Die Behörden?«
    Luke verzog verächtlich die Lippen. »Scheiße.«
    »Ja«, seufzte Max. »Und sonst hast du niemanden?«
    Er reckte energisch das Kinn mit dem kleinen Grübchen. »Ich
hab' mich.«
    Eine ausgezeichnete Antwort, dachte Max. »Und deine Pläne?«
    »Ich bin unterwegs nach Süden, nach Miami.«
    »Aha.« Max nahm Lukes andere Hand und drehte die Handfläche
nach oben. Als er spürte, wie der Junge sich verkrampfte, zeigte er zum
erstenmal ein Zeichen von Ungeduld. »Ich habe kein sexuelles Interesse
an Männern«, erklärte er schroff. »Und wenn, dann würde ich nie so tief
sinken, mich an einem Jungen zu vergreifen.« Luke schaute ihn an, und
Max sah in seinen Augen, daß er mehr wußte als ein Zwölfjähriger wissen
sollte. »Hat dieser Mann dich mißbraucht?«
    Luke schüttelte rasch den Kopf. Er war zu tief gedemütigt, um
darüber sprechen zu können.
    Aber jemand hat es getan, dachte Max. Oder es zumindest
versucht. Doch er stellte keine Fragen. Damit würde er
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