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Die Tochter des Leuchtturmmeisters

Die Tochter des Leuchtturmmeisters

Titel: Die Tochter des Leuchtturmmeisters
Autoren: Ann Rosman
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sorgfältig getrennt und somit zumindest theoretisch dafür gesorgt, dass es funktionieren konnte.
    Jede Gruppe erhielt eine Karte der Umgebung sowie eine vergrößerte Abbildung des Gebiets zwischen der Festung und dem Lotsenausguck auf der Anhöhe gleich nebenan. Der Ort war mit Bedacht gewählt worden: eine Ansammlung von alten Pfaden, die hier zusammenliefen, und ein Buchenhain mit dem sagenumwobenen Opferstein.
    In ausgelassener Stimmung stiegen die Schüler den grasbewachsenen Hügel hinauf und verschwanden aus ihrer Sichtweite. Rebecka hatte sich gerade hingesetzt und von ihrem Schinkenbrot abgebissen, als sie eine Person im Stimmbruch laut schreien hörte.
    »Ah ja«, sagte sie zu Mats. »Wie lange hat es gedauert?«
    »Bleib sitzen. Ich geh nachsehen.« Mats stand auf, reichte Rebecka seinen Kaffeebecher und verschwand mit großen Schritten.
    Rebecka überblickte die Umgebung. Sie saß auf einem der höchsten Punkte Marstrands, und die Aussicht war überwältigend. Koön im Osten, ein Stück weiter südlich der Albrektsunds Kanal, ein offener Horizont im Westen, und im Norden auf der Insel Hamneskär erstrahlte rot der frisch gestrichene Leuchtturm Pater Noster.
    »Du kommst besser auch, Rebecka.«
    Mats kam zurückgerannt. Der Schreck war ihm ins Gesicht geschrieben. Rebecka stellte die beiden Becher ins Gras und stand hastig auf.
     
    Åkerström, Trollhättan, Spätsommer 1958
    Die geschlossene Tür
     
    Ein magerer, kleiner Junge mit ungewaschenem Haar und zerrissenen Kleidern saß auf der untersten Stufe der Kellertreppe. Die geschlossene Tür hinter sich beachtete er gar nicht mehr. Er hatte schon lange die Hoffnung aufgegeben, dass sie sich eines Tages öffnen würde. Er starrte ins Leere oder vielleicht auf die dicke Mauer.
    Es roch muffig, und durch die schmutzigen Kellerfenster drang nur gedämpftes Tageslicht. Außer an den Stellen, wo der Wind hereinblies, waren die Fensterrahmen von einer dicken Staubschicht bedeckt. Von der Decke hing eine nackte Glühlampe.
    Oben hörte er seine Schwestern zanken und lachen. Fröhliche Füße rannten vom Hausflur in die Küche. An den Schritten hörte er, wer es war und wo sich die Personen befanden. Es war eine andere Welt. Eine Welt aus Licht und klaren Farben. Wo er sich befand, war fast alles grau und braun. Vor drei Tagen war er, ohne es zu wissen, sechs Jahre alt geworden. Zwei dieser Jahre hatte er im Keller zugebracht.
     
    Die alte Frau Wilson besaß einen der gepflegtesten Gärten auf Marstrandsön. Er lag hinter dem weißgestrichenen Gartenzaun an der Kreuzung von Hospitalsgatan und Kyrkogatan. Als passionierte Gartenliebhaberin und ehemalige Besitzerin einer angesehenen Gärtnerei in Southampton an der Südküste Englands, wo sie und ihr verschiedener Gatte achtundzwanzig Jahre gelebt hatten, legte sie Wert darauf, immer etwas zu bieten zu haben, das Passanten zum Stehenbleiben und Staunen brachte. Im Frühling stahl der Kirschbaum mit seiner prächtigen rosa Blüte allem anderen die Schau, im Sommer waren es die Pfingstrosen und die atemberaubendenStockrosen an der Hauswand. Im Spätsommer und Herbst verströmten die Rosen ihren bezaubernden Duft über den Gartenzaun und ließen die Leute auf der Straße behaglich seufzen. Das bereits im Jahre 1701 erbaute Haus gehörte zu den ältesten und kleinsten auf der Insel, doch der Garten war dafür umso größer. Im Volksmund wurde er die »Perle« genannt, und auch in den Broschüren der Touristeninformation war er abgebildet.
    Am anderen Ende des Gartens standen zwei Stühle im Schatten eines riesigen Apfelbaums. Die Nachbarn im Haus hinter dem von Frau Wilson hatten lange versucht, den Apfelbaum loszuwerden, weil er ihnen einen Großteil ihres Meerblicks nahm. Sie hatten mit der alten Dame darüber gesprochen, doch die Antwort lautete: »Ein Baum braucht fünfzig Jahre zum Wachsen, aber es dauert nur zwanzig Minuten, ihn zu fällen.« Damit war die Sache für Frau Wilson erledigt. Nur ein kleines Stück des Gartens hatte sie unangetastet gelassen. Das war das Fleckchen zur Kirche hin. Im Mittelalter hatte es neben der Kirche ein Franziskanerkloster gegeben, und an dieser Stelle hatten die Mönche einen Garten mit Heil- und Würzkräutern gepflegt. Ein alter gepflasterter Weg, in dessen Ritzen sich nach Äpfeln duftende römische Kamille und schwarze Veilchen ausbreiteten, führte dorthin. Roter Sonnenhut, Alraune und Nachtviolen hießen die Besucher willkommen, bei denen es sich oft um Schmetterlinge
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