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Die Tochter des Fälschers

Die Tochter des Fälschers

Titel: Die Tochter des Fälschers
Autoren: Carl Heigel
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verdorbener Magen nach der Tafel sind der Gewinn davon. Diese hohlen Redensarten, diese Ziererei! Die Menschen, welche in Gesellschaft kommen, reden Einer dem Andern ein, daß sie sich amüsiren, und die ganze Gesellschaft ist eine große compacte Lüge von sechs oder sieben Gängen, in Madeira, Rheinwein und Champagner eingetunkt.“
    Er brannte sich eine Cigarre an, rückte seinen Lehnstuhl an’s Fenster und ließ sich verdrießlich nieder. Seine Gedanken waren noch bei der Tafel.
    „Einen neuen Heiligen hätten wir nun gefunden! Johann Jakob Günther, geheimer Secretarius und Rendant Sr. Majestät. Was für Criminalblicke mir zugeschleudert wurden, weil ich in die allgemeine Litanei nicht einstimmte! Ich weiß zwar gegen den Mann nichts zu sagen, aber ich traue den Leuten nicht, welche mit aller Welt Freundschaft halten. Er lobt immer und jeden; dafür lobt nun der Herr Jeder auch ihn! Habeat sibi! “
    Er zog die Klingel. Ein Diener erschien mit Licht.
    Der Arzt stellte die Lampe auf seinen ungestalten, von Büchern, anatomischen Karten und Manuscripten überflutheten Schreibtisch und vertiefte sich bald in das Werk eines befreundeten Gelehrten. Nichts störte die Stille des Gemachs. Der Pudel lag stumm; nur zuweilen schmiegte er liebkosend sein Haupt an die Füße seines Herrn. Im Kamin knisterte die Gluth, und das Rauschen der umgewandten Blätter zeugte vom Eifer des Lesenden.
    Eben verhallte der elfte Schlag der Schloßuhr, als auf dem Korridor eilige Schritte tönten und an die Thür heftig gepocht wurde. Der einsame Junggeselle, so später Besuche als Arzt gewohnt, rief ruhig sein Herein, erstaunte aber dennoch, da Pastor Reinhold in’s Zimmer schritt. Er trat dem späten Gaste fragend entgegen.
    „Entschuldigen Sie,“ sagte dieser hastig, mit zerstörtem Antlitz und unverhehlter Aufregung. „Entschuldigen Sie, Herr Doctor, wenn ich Sie aus wichtigen Studien störe. Ihre Hülfe ist dringend noth. Meinen Schwiegervater hat ein heftiger Blutsturz befallen. Eilen Sie! helfen Sie!“
    „Sie melden mir nichts Unerwartetes!“ erwiderte der Arzt. „Ich habe den Fall längst vorausgesehen!“
    „Wie?“ rief der Andere empört, „und Sie haben den ausgezeichneten Mann, die liebenswürdige Tochter nicht gewarnt?“
    „Davon später! jetzt kommen Sie!“ Michaelis hatte bereits Hut und Mantel ergriffen, und rasch schritten beide Männer hinab in’s Freie. Während sie den Weg nach der Stadt einschlugen, begann der Arzt: „Schon vor längerer Zeit sprach ich mit Günther über sein geheimes Leiden. Ich bat ihn, einige Monate sich der Geschäfte zu enthalten, bat ihn mit der vollen Aufklärung über die schwebende Gefahr, ich selbst wollte ihm einen Urlaub vermitteln; allein er hat mich mit heftigen Worten abgewiesen. Er
wollte
nicht gesund werden; dem Erkrankten kann ich die Schmerzen erleichtern, ihn heilen aber, Herr Pastor, das sage ich Ihnen vorher, ihn heilen kann ich schwerlich mehr.“
    Reinhold erblaßte. „So geben Sie jede Hoffnung, ihn zu retten, verloren? Und das sprechen Sie so ruhig aus? Bewegt Sie denn der Verlust eines solchen Mannes, den Alt und Jung als Ehrenmann bewundert und liebt, dessen Charakter und Wandel so rein ist, daß selbst der Neid verstummt, und kein Feind ihm unter Allen, die ihn kennen, lebt – bewegt Sie denn das Leiden und der mögliche Verlust eines so seltenen, eines so einzigen Mannes nicht?“
    „Ich bin Arzt, ich sah die besten und die schlechtesten Menschen dem gleichen Gesetze unterworfen. … Eilen wir!“
    Nach den letzten bestimmten Worten des Arztes fühlte sich Keiner geneigt, das Gespräch fortzusetzen, sondern Beide eilten schweigend neben einander her.
    Als sie durch den kahlen, schneeverwehten Garten schritten, welcher des Rendanten Haus von der Landstraße trennte und im grünen Sommer heiter einrahmt, konnte sich der Geistliche eines Seufzers nicht enthalten. Er dachte an die schonen Juni- und Julinächte, die er hier mit Amanda, ihrem Vater und gemeinsamen Freunden verbracht hatte. War denn dieser wüste, traurige Fleck Erde derselbe, welcher vor wenig Monaten mit duftigen Blumenbeeten und dicht verschlungenen Lauben ihn gleich einem lieblichen Eden gefesselt hatten? Wie gespenstisch erschien ihm das sonst so trauliche Haus! Statt der luftigen Last tausendfach verschlungener Rebenranken trägt nun das Dach die Wucht des Schnees, welche den leichten Bau zu erdrücken droht. Und dräut nicht auch im Innern Zusammensturz und plötzliche Vernichtung
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