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Die Tochter Der Goldzeit

Die Tochter Der Goldzeit

Titel: Die Tochter Der Goldzeit
Autoren: Jo Zybell
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erstarb nach und nach, seine zitternden Finger tasteten nach ihrer Hand. Es waren schon die Finger eines Toten. »Geh jetzt, geh .«
    Katanja küsste seine kaltschweißige Stirn, legte ihn im Schnee ab und schälte ihn aus dem Federmantel. Während sie den Mantel selbst anzog, blickte sie noch einmal hinunter zum brennenden Lager der Albriden. Einige Krieger schlichen zögernd näher. Katanja hob nur das schwarze Rohr, schon machten sie kehrt und flohen.
    »Danke, Ginolu«, flüsterte sie, drehte sich um und lief den Schneehang hinunter, lief und lief. Die entzündeten Peitschenstriemen brannten unter dem Kleid auf ihrer Haut, ihre geschundenen Glieder schmerzten. Der Weg ins Flusstal schien ihr unendlich, und überhaupt - was wollte sie dort? Wo lag ihr Ziel?
    »Jacub«, murmelte sie. »Ich will zu dir, Jacub. Wo bist du?« Sie spähte durch die Dämmerung nach Süden, wo Rauch aufstieg und Flammenschein den Schneewall rund um die Lichterburg erleuchtete. Was hatte das zu bedeuten? Hatte Jacub es geschafft? Oder verbrannte er dort? Die Angst um ihn beschleunigte ihren Schritt. »Jacub!«, rief sie. »Jacub!«
    Sie rannte, stolperte, stürzte in den Schnee, richtete sich auf den Knien auf und hob den Blick: Noch funkelte kein Stern am Abendhimmel, noch war der Mond nicht aufgegangen. Zwei große, weiße Vögel flogen über sie hinweg zum Lager der Albriden. Der Anblick berührte sie in einer Weise, für die sie keine Worte fand. Sie stand auf und ging weiter, wankte durch den Schnee, lief weiter, immer weiter. Tränen strömten ihr über das kalte Gesicht.
    Als sie sich den nächsten Hang hinaufschleppte, drehte sie sich noch einmal nach dem Hügelkamm um, auf dem sie den sterbenden Bosco zurückgelassen hatte. Dort standen zwei. Die trugen weiße Mäntel. Ihr weißblondes Haar wehte im Abendwind. Jetzt beugten sie sich über den Sterbenden. Albridanische Krieger waren das nicht.
    Katanja drehte sich um, lief weiter, überquerte den nächsten Hügelkamm, erreichte den Winterwald im Flusstal. Sie lief und lief. Zweige peitschten ihr ins Gesicht, Geäst scheuerte ihr über Handrücken und Hals, sie versuchte, ihren Kopf in den Armen zu bergen. In der Krone eines entwurzelten Baumes blieb sie hängen.
    Sie spähte nach Süden: Feuerschein erleuchtete den Abendhimmel dort, warf sein rötliches Licht auf den verschneiten Wald, auf ihre zerschundenen Hände. Sie befreite sich aus dem Gehölz, lauschte erschrocken: Schritte näherten sich. Deutlich hörte sie Schnee unter Sohlen knirschen.
    Sie rannte los. Ihre Hüfte stach. Eisiger Wind blies ihr ins zerkratzte Gesicht, in die nassen Augen. Ihr Atem flog, ihre Lunge stach, sie keuchte. Die Arme vor sich ausgestreckt, brach sie durch Gestrüpp und Gebüsch. Tiefhängende Zweige peitschten ihr ins Gesicht, Äste schürften ihr Stirn und Wangen wund, Bruchholz brachte sie zu Fall. Sie wollte liegen blieben, wollte ihren Körper der Kälte überlas-sen und sterben. »Weiter.« Sie zwang sich aufzustehen. »Weiter, Tochter der Goldzeit, wenn du leben willst, wenn du ihn noch einmal sehen willst ...«
    Von Stamm zu Stamm wankte sie weiter durch das Unterholz des Winterwaldes. Etwas schwirrte durch die Luft, sie sah einen Schatten. Etwas fiel auf sie herab - sie riss die Arme hoch, griff in die Maschen eines Jagdnetzes. Das Netz straffte sich, zerrte an ihr. Rücklings stürzte sie in den Schnee.
    »Jacub, wo bist du?« Sie flüsterte nur noch.
    Sie blickte in den Himmel. Ganz still lag sie im Schnee. Schritte näherten sich, sie gab auf. Über ihr funkelte der erste Stern im Abendhimmel. Vögel zogen vorbei - große weiße Vögel. Katanja hob den Kopf. Sie achtete nicht auf die nahen Schritte, nicht auf die keuchenden Atemzüge - der Anblick der Vögel schlug sie ganz und gar in den Bann.
    Sie waren zu dritt und flogen nach Westen. Ohne Eile bewegten sie die weiten Schwingen.
    Dann stand er vor ihr. Es war Burgas. Eine lange, blutende Wunde klaffte in seiner Schädelschwarte. Verkrustetes Blut klebte in seinem Gesicht. »Hab ich dich«, sagte er und beugte sich zu ihr hinunter. Er packte das Netz, riss sie darin hoch und zerrte sie aus dem Wald. »Hast gedacht, du entkommst mir?« Burgas lachte heiser. Er schleppte sie den Hang hinauf, zog sie hinter sich her dem Lager der Albriden entgegen.
    Katanja dachte an die beiden weißen Gestalten auf dem Hügelkamm bei dem Sterbenden, sie dachte an die drei großen weißen Vögel auf dem Weg nach Westen. Sie spürte keine Angst mehr,
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