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Die Time Catcher

Die Time Catcher

Titel: Die Time Catcher
Autoren: Richard Ungar
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mich. Ich werfe Abbie einen verstohlenen Blick zu, doch sie schaut starr geradeaus und hat ihr Mona-Lisa-Lächeln aufgesetzt. Falls sie unsere Berührung wahrgenommen hat, lässt sie sich nichts anmerken.
    Wir wirbeln Staubwolken auf, während wir weiterschlurfen. Jetzt kann ich das Haus bereits deutlich erkennen: ein solides Gebäude aus Stein, dessen Fensterläden in leuchtendem Grün und Rot gestrichen sind. Auf einigen Fenstersimsen stehen Töpfe mit gelben Blumen. Ich nehme mir vor, ihnen nicht zu nahe zu kommen, sollte es sich um Narzissen handeln.
    Vor dem letzten Haus zur Linken bleiben wir stehen. Es ist ziemlich groß, hat zwei Stockwerke und einen Turm auf der Rückseite. Meine Augen bleiben für einen Moment am Obergeschoss hängen. Dort hat der Wissenschaftler Nicéphore Nièpce sein Laboratorium und dort sollte sich auch das Objekt unserer Begierde befinden.
    Ich klopfe an die Tür.
    Man hört ein scharrendes Geräusch, dann schwingt die Tür auf. Uns gegenüber steht ein gut aussehender Mann, der ein steifes weißes Hemd mit hohem Kragen trägt. Ich schätze ihn auf etwa fünfzig Jahre, was dem Alter unseres Erfinders entspricht. Dennoch kann er es nicht sein, denn die Holografie von Nicéphore in unseren Unterlagen zeigt einen Glatzkopf, wohingegen dieser Mann struppige schwarze Haare hat, die in alle Richtungen abstehen. Es muss sich um Nicéphores Bruder Claude handeln.
    Als ich Abbie dies gerade lautlos mitteilen will, sagt sie: »G uten Tag, Monsieur. Unsere Mutter …«
    »R ein mit euch dreien, aber ein bisschen plötzlich«, befiehlt Claude.
    Wir sind zwar nur zu zweit, aber wer weiß, vielleicht hat er sich ja selbst mitgezählt.
    Das Innere des Hauses enttäuscht uns nicht. Wir befinden uns in einem großen Wohnzimmer, in dem sich mehrere gemütliche Diwane und Lehnstühle um einen Kamin gruppieren. Über dem Kamin hängt das Ölgemälde eines Mannes, der Claude auffallend ähnlich sieht. Eine Treppe führt ins Obergeschoss hinauf.
    »S ie kommen!«, ruft Claude, noch immer in der Tür stehend.
    »W er kommt?«, fragt Abbie.
    »S ie!«, antwortet er und starrt angespannt nach draußen, als erwarte er jeden Moment, dass die wilden Horden am Horizont auftauchen. »D ie dreifarbigen Wesen.«
    »D ie dreifarbigen Wesen? «
    »O range, blau und rot«, fährt Claude fort. »A ber sie können mir nichts anhaben. Denn ich kenne ein Mittel, um sie alle weiß zu färben«, erklärt er mit gedämpfter Stimme. Er wirft einen letzten Blick gen Himmel, wirft die Tür zu und verriegelt sie von innen mit einer massiven Holzlatte.
    »U nter den Diwan!«, kommandiert er, und Abbie leistet brav Folge. »U nd du da!«, ruft er jemandem zu, den nur er sieht, »z ieh den Kopf ein, bevor sie dich entdecken!«
    Dann springt er auf einen der Lehnstühle und ruft: »D ann sollen sie eben kommen. Den Keksessern werd ich’s zeigen!«
    »C ale, wir müssen die Situation irgendwie unter Kontrolle bringen!«, sagt Abbie.
    Sie hat recht. Obwohl wir immer noch jede Menge Zeit zur Durchführung des Catchs haben – meinem Fingernagel zufolge vierundzwanzig Minuten –, sollten wir es nicht zulassen, dass Claude hier in jeder Hinsicht das Kommando übernimmt.
    »S timmt. Erinnerst du dich noch an Montevideo, 1963?«
    »P erfekt, so machen wir’s«, antwortet Abbie.
    »W illst du diesmal der Baum sein?«, frage ich.
    »E inverstanden.«
    Abbie krabbelt unter dem Diwan hervor und richtet sich auf. Sie legt ihre Handflächen aneinander, als wolle sie beten, hebt ihren linken Fuß und hält ihn an die rechte Kniekehle, sodass sie nur auf einem Bein steht.
    Dann beginnt sie mit leiser Stimme zu rezitieren:
    »W enn aus tiefen Grüften
    fahle Nebelwesen dringen
    wenn in eis’gen Lüften
    Wahngeschöpfe singen
    dann, Wanderer, nimm dich in Acht
    vor der Wirklichkeit der Nacht!«
    Wow! Dieses Schauergedicht kommt völlig unerwartet und macht wirklich Eindruck. Ich bin sicher, dass sie es mal von Onkel aufgeschnappt hat. In einer düsteren Phase hat er andauernd solches Zeug von sich gegeben.
    Das Wichtigste ist jedoch, dass sie sich dadurch Claudes Aufmerksamkeit gesichert hat. Er starrt sie kurz an, dreht sich zu mir um und flüstert: »D eine Schwester hat ein ernsthaftes Problem.«
    »E s ist nicht das erste Mal, dass sie so einen Anfall hat«, entgegne ich, ohne die Miene zu verziehen. »W ir müssen sie unbedingt in höher gelegene Räumlichkeiten bringen. Das ist die einzige Möglichkeit, sie wieder zu sich zu
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