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Die Therapie: Psychothriller (German Edition)

Die Therapie: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Therapie: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Sebastian Fitzek
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Auf dem Gebiet der Schizophrenie war er tatsächlich Experte. Zumindest gewesen.
    »Wie kam es zu Ihrer Einlieferung?«
    »Ich habe Professor Malzius angerufen.«
    »Sie haben von sich aus beim Institutsleiter um Aufnahme gebeten?«
    »Ja, natürlich. Die Klinik hat einen sehr guten Ruf. Sonst kannte ich niemanden, der mir weiterhelfen würde. Sie wurden mir erst vor wenigen Tagen empfohlen.«
    »Von wem haben Sie meinen Namen erfahren?«
    »Von einem jungen Arzt in der Klinik. Er hatte zuvor dafür gesorgt, dass meine Medikamente abgesetzt wurden, damit ich wieder klar denken konnte. Er war es auch, der mir sagte, Sie wären der Beste für meinen Fall.«
    »Was hat man Ihnen gegeben?«
    »Alles mögliche. Truxal, Fluspi. Meistens Flupentixol.«
    Klassische Neuroleptika. In jedem Fall keine falsche Behandlung, dachte Viktor.
    »Und es hat nicht geholfen?«
    »Nein, die Symptome wurden vom Tag der Einlieferung an immer schlimmer. Nachdem endlich die Medikamente abgesetzt wurden, brauchte ich Wochen, um wieder auf die Beine zu kommen. Ich denke, das ist Beweis genug, dass eine medikamentöse Therapie bei meiner besonderen Form der Schizophrenie ausscheidet.«
    »Was macht denn Ihre Form so besonders, Frau Spiegel?«
    »Ich bin Schriftstellerin.«
    »Ja, das sagten Sie bereits.«
    »Ich will versuchen, das so gut wie möglich an einem Beispiel zu verdeutlichen.« Anna sah zum ersten Mal nicht direkt zu ihm hin, sondern fixierte plötzlich einen imaginären Punkt hinter seinem Rücken. Viktor verzichtete früher in seiner Praxis in der Friedrichstraße in Berlin auf die Freudsche Couch und unterhielt sich stattdessen mit seinen Patienten lieber von Angesicht zu Angesicht. Deshalb hatte er ein solches Verhalten schon häufig beobachtet. Die Patienten wichen seinem Blick aus, sobald sie unter großer Anspannung standen und ein besonders wichtiges Ereignis so präzise wie möglich schildern wollten. Oder wenn sie logen.
    »Mein erster Versuch als Schriftstellerin war eine Kurzgeschichte. Ich schrieb sie im Alter von dreizehn Jahren für einen Schülerwettbewerb des Senats von Berlin. Die Themenvorgabe lautete ›Der Sinn des Lebens‹, und meine Geschichte handelte von mehreren jungen Erwachsenen, die ein wissenschaftliches Experiment starten. Ich hatte das Manuskript gerade abgegeben, als es am Folgetag passierte.«
    »Was?«
    »Meine beste Freundin feierte im Festsaal des Hotels ›Vier Jahreszeiten‹ im Grunewald ihren vierzehnten Geburtstag. Ich war auf dem Weg zur Toilette und musste dabei durch die Hotel-Lobby. Auf einmal war sie da. Sie stand direkt an der Rezeption.«
    »Wer?«
    »Julia.«
    »Wer ist Julia?«
    »Sie. Julia. Eine der Frauen aus meiner Kurzgeschichte, die Hauptperson in der Eröffnungssequenz.«
    »Sie meinen, Sie sahen eine Frau, die derjenigen aus Ihrem Schulaufsatz ähnlich war?«
    »Nein.« Anna schüttelte den Kopf. »Nicht eine Frau wie sie. Es war genau die Frau.«
    »Woran haben Sie das erkannt?«
    »Weil diese Frau wortwörtlich das sagte, was ich ihr in der ersten Szene in den Mund gelegt hatte.«
    »Was?«
    Annas Stimme wurde leise, und sie blickte wieder direkt in Viktors Augen.
    »Julia beugte sich über den Tresen und sagte zu dem Angestellten an der Rezeption: ›Sag mal, Kleiner, gibst du mir ein hübsches Zimmer, wenn ich ganz nett zu dir bin?‹«
    Viktor hielt ihrem fordernden Blick stand.
    »Haben Sie mal überlegt, ob das vielleicht nur ein Zufall gewesen sein könnte?«
    »Ja, ich habe wirklich lange darüber nachgedacht. Sehr lange. Nur fiel es mir schwer, an einen Zufall zu glauben, da Julia danach wieder genau das tat, was ich in meinem Aufsatz niedergeschrieben hatte.«
    »Was denn?«
    »Sie steckte sich eine Pistole in den Mund und pustete sich ihr Gehirn aus dem Schädel.«
    Viktor sah sie entsetzt an.
    »Das ist …«
    »… ein Scherz? Leider nein. Die Frau an der Rezeption war erst der Anfang eines Albtraums, in dem ich jetzt seit fast zwanzig Jahren gefangen bin. Mal mehr, mal weniger, Dr. Larenz. Ich bin Schriftstellerin, und das ist mein Fluch.«
    Viktor hätte beinahe die Lippen zu ihren Worten bewegen können, so sicher war er, was sie als Nächstes sagen würde.
    »Alle Figuren, die ich seit dieser Geschichte in meinen Gedanken entstehen lasse, werden real. Ich kann sie sehen, sie beobachten und manchmal sogar mit ihnen sprechen. Ich denke sie mir aus, und im nächsten Moment sind sie in meinem Leben. Das ist meine Krankheit, Dr. Larenz. Das ist mein Problem.
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