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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel
Autoren: Richard Dübell
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herausgezogen – gnädigerweise war Andrej dabei in Ohnmacht gefallen –, hatte etwas in den Schnitt geträufelt, unter dem Andrej selbst in der Besinnungslosigkeit zusammengezuckt war, und eine Art Verband um seinen Oberkörper gemacht.
    »Er wird es schaffen«, sagte sie. »Der Doktor sagt, es war ein Glück, dass der Schuss auf so kurze Distanz erfolgte. Armbrustbolzen bekommen erst nach ein paar Schritten eine tödliche Geschwindigkeit.«
    »Der Doktor sagt auch«, erklärte der Arzt brummig, »dass noch lange nicht gesagt ist, dass sich die Wunde nicht entzündet, dass er sich in diesem Höllenloch nicht die Pest eingefangen hat oder dass ihm nicht morgen ein Ziegelstein auf den Kopf fällt.«
    »Das Leben will einem jeden Tag aufs Neue an den Kragen«, sagte Cyprian. »Nachdem Sie hier ein Wunder vollbracht haben, Doktor, sehen Sie doch mal zum Klostereingang. Da liegt ein Mann, dessen Schutzengel im letzten Moment die Handdazwischengehalten hat, als er sich selbst einen Armbrustbolzen in den Leib trieb. Der Mann ist ein Dominikaner, aber es kann ja eine gute Tat sein, einem von den Kerlen das Leben zu retten.«
    Agnes musterte ihn. Sie fühlte sich so erschöpft wie noch nie in ihrem Leben und so glücklich wie noch nie. Andrejs Kopf lag auf ihrem Schoß, sie hatte die Hand auf den Wundverband gelegt und spürte seinen ruhigen, langsamen Atem. Sie hatte einen Bruder. Sie hatte keine Ahnung, wie es war, Geschwister zu haben, aber sie hatte den Eindruck, dass sie es kennen lernen würde. Sie hatte immer gedacht, sie sei allein auf der Welt, eine Einsamkeit, an der nicht einmal die Liebe Cyprians etwas hatte ändern können. Sie spürte in sich hinein und stellte fest, dass der Gedanke nur noch Erinnerung war. Cyprian lächelte, und sein Lächeln sandte einen Schauer durch sie hindurch. Sie war noch nie so erschöpft, noch nie so glücklich gewesen – und sie hatte ihn noch nie so geliebt wie in diesem Augenblick.
    »Es ist ja nicht so, dass du nur einen Bruder bekommen hättest«, sagte Cyprian.
    »Sondern?«
    »Du bist gleichzeitig auch noch Tante geworden.«
    »Was? Andrej hat ein Kind?«
    »Naja«, sagte er. »In Wahrheit ist es ein bisschen komplizierter.«
    »Wie heißt es? Wie sieht es aus?«
    »Das kannst du alles von deiner Mutter erfahren, wenn wir zurück in Prag sind. Ich bin sicher, dass sie zwischenzeitlich ein halbes Dutzend Ammen in den Wahnsinn getrieben und mindestens einen Drachen gefressen hat, der dem Kleinen zu nahe gekommen ist.«
    »Meine Mutter?! Theresia Wiegant?«
    »Ich sagte ja, es ist kompliziert.«
    »Erzähl mir die Geschichte.«
    »Agnes, meine Liebe«, seufzte er, aber sein Lächeln veränderte sich nicht, »schau einfach in den Spiegel, dann siehst du die Geschichte vor dir.«
    Sie starrte ihn verständnislos an, doch er beugte sich zur ihr herab und küsste sie; und für den Augenblick gab es nichts auf der Welt, was sie sich außer diesem Kuss gewünscht hätte.

Nachwort
    Eigentlich hatte ich ja vor, die Geschichte Kaiser Rudolfs von Habsburg zu erzählen, des Alchimisten auf dem Kaiserthron, des Kunstsammlers und Neurotikers im Herzen des Deutschen Reichs, dessen krasse Uneignung für den Thron den Weg für das unsagbare Elend des Dreißigjährigen Krieges ebnete. Die Teufelsbibel sollte lediglich einen Handlungsstrang dieser Geschichte bilden.
    Wer sich lange genug mit dem Schreiben befasst hat, macht die Erfahrung, dass Geschichten es selbst am besten wissen, wie sie erzählt werden wollen. In dieser Hinsicht haben sie die gleiche Macht, wie ich sie der Teufelsbibel in meinem Roman unterstellt habe: Sie versuchen nach Kräften, unter die Leute zu kommen. Meine Story erlebte daher eine Veränderung, eine Transmutation, wenn man so will, was zwar einen Bezug zur Alchimie herstellt, die Figur des Oberalchimisten Kaiser Rudolf aber zu einer – wenn auch nicht ganz unwichtigen – Vignette reduzierte.
    Geblieben ist ein ganzes Bündel von historischen Persönlichkeiten, die weiterhin darauf bestanden, in meiner Geschichte eine Rolle zu spielen.
    Den größten Raum nimmt sicher Melchior Khlesl ein, Kardinal, Bischof von Wiener Neustadt und Kaisermacher. Nicht zuletzt seinen Bemühungen verdankte es das Deutsche Reich, dass Kaiser Rudolf 1612 abgesetzt und durch Erzherzog Matthias ersetzt wurde. Leider war Matthias genauso fehl am Platz wie sein großer Bruder, aber wir wollen annehmen, dass Melchior Khlesl daran nicht schuld ist. In Franz Grillparzers Drama »Ein
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