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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel
Autoren: Richard Dübell
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gewesen war, explodierte aus dem Scheiterhaufen heraus.
    Das Kreischen schrillte über den Hof. Es hatte nichts Menschliches. So würden Bäume schreien, die in einem Waldbrand zugrunde gehen, wenn Bäume Stimmen hätten. Pater Xavier brannte von Kopf bis Fuß. Er rannte auf Flammenbeinen und brüllte mit einem Flammenmund. Seine Züge waren nicht mehr zu erkennen. Er rannte, oder vielmehr: die Qual hatte sich seiner Gliedmaßen bemächtigt. Er rannte, und die Flammen loderten ihm hinterher, brennende Fetzen wirbelten davon, Funken sprühten. Er rannte. Vielleicht erinnerte er sich an die Geräusche, die er so erfolgreich ausgeblendet hatte, wenn er einem Autodafé beiwohnte; vielleicht hörte er ein junges Mädchen nach seiner Mutter schreien, während die Flammen sich in ihren Körper fraßen. Er rannte …
    Er rannte direkt auf den zweiten Wagen zu. Dessen Insasse war ausgestiegen und starrte voller Horror den Dämon an, der sich ihm näherte. Die Soldaten, noch wie gelähmt vor Entsetzen, hoben die Waffen – viel zu langsam.
    Ein Knall peitschte durch das Kreischen. Pater Xaviers brennender Kopf platzte plötzlich auseinander. Die Füße trugen ihn noch ein paar Schritte weiter, dann sackte er zusammen und fiel dem Insassen des Wagens vor die Füße. Bei dem Torbogen, der Cyprian und seinen Freunden als Deckung gedient hatte, stand Pater Hernando und ließ ein Gewehr sinken, das er einem Soldaten aus der Hand gerissen hatte. Die Pulverladung hatte seine rechte Gesichtshälfte verbrannt;seine Brillengläser waren zersprungen. Langsam kippte er vornüber und trieb den Armbrustbolzen bis zu den Federn in seinen Leib.
    Der Insasse des zweiten Wagens schaute auf das brennende Bündel vor seinen Füßen. Dann trat er vorsichtig einen Schritt zurück. Sein Gesicht war totenbleich und eine Fratze voller Hässlichkeit. Die Soldaten rundherum bekreuzigten sich, aber nicht aus Angst vor ihm, sondern weil die Vorsehung ihn gerettet hatte.
    Von der Stelle, an der Pavel gestorben war, hörte man das raue Weinen eines Mannes. Buh hatte den Leichnam auf seinen Schoß gezogen und wiegte sich mit ihm vor und zurück.
    Kaiser Rudolf von Habsburg betrachtete die von dem hoch auflodernden Feuer des Scheiterhaufens beleuchtete Szenerie, dann tappte er auf unsicheren Füßen zum Wagen von Bischof Melchior hinüber.
    Agnes war halb irr vor Verzweiflung.
    »Tu was, Cyprian, tu was für ihn! Rette ihn!«
    »Er hat sich für dich –« Cyprians Lippen waren taub. »Er ist einfach vor dich hingesprungen –«
    Andrej ächzte. Seine Blicke zuckten zwischen ihnen hin und her. Agnes hatte das Gefühl, jemand greife in ihr Innerstes und zermalme ihre Seele. Die Farbe wich so schnell aus Andrejs Gesicht, dass es aussah, als zöge jemand ein weißes Tuch über ihn. Sie schluchzte, dass es ihren ganzen Körper schüttelte.
    »Tu doch was. Ich brauche ihn. Ich liebe ihn!«
    Cyprian, der versuchte, den zitternden Andrej festzuhalten, warf ihr einen Blick zu. Er fühlte einen Stich in seinem Herzen, der ihm den Atem nahm. Plötzlich krallte sich eine Hand in seinen Kragen und zog ihn nach unten. Er starrte in Andrejs weit aufgerissene Augen.
    »Ich bin ihr … Bruder!«, keuchte er. »Sie ist … sie ist …meine … Schwester. Ich sehe immer noch meine Mutter … meine Mutter vor mir … zwischen all diesen schlanken Französinnen … so massig … so plump … und ich … ich erinnere mich, dass ich dachte … ich war fast neidisch, weil ich wollte, dass meine Mutter so schön wäre wie sie … dabei war sie … schwanger … sie war hochschwanger … sie trug meine Schwester unter dem Herzen – Agnes – ich wusste nicht –«
    Seine Stimme erstarb. Er holte keuchend Atem. Seine Augen rollten, seine Hand ließ Cyprians Wams nicht los.
    »Mutter …«, flüsterte er. »sie war schon fast tot, aber im Sterben brachte sie … brachte sie Agnes auf die Welt. Die Mönche … die Mönche haben sie entbunden … Pavel … er hat Yolanta ermordet … aber er hat damals auch Agnes auf die Welt geholfen … er … er ist nicht … das Böse hat eine andere … Gestalt …«
    Ein Schatten fiel über sie. Agnes blickte auf. Sie hatte Bilder von Kaiser Rudolf gesehen und Erzählungen gehört und erkannte ihn auf Anhieb. Es hätte ihr nicht mehr egal sein können. Die monströse Gestalt verschwamm ihr vor den Augen.
    »Lasst mich gehen«, sagte Andrej. Er schenkte Agnes den Schatten eines Lächelns. »Es war schön, dich …
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