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Die Teilung des Paradieses

Die Teilung des Paradieses

Titel: Die Teilung des Paradieses
Autoren: Michael Heidenreich
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andere Hand nehmen. Ich bin Linkshänder. Mit der rechten Hand drücke ich den Sicherungshebel herunter. Es klickt zweimal. Mist. Zu weit. Eine Stellung wieder zurück. Jetzt steht der Hebel auf Einzelfeuer. Das wär’s noch gewesen. Den Warnschuss als Salve in den kalten Winterhimmel. Ich reiße den Verschluss nach hinten, ein metallisches Ratschen zerreißt die Stille. So, nun ist das Ding geladen, eine Patrone ist im Lauf und es gibt kein Zurück mehr. Es sei denn, der Idiot da bleibt jetzt stehen. Ich stemme den Kolben der Mpi gegen meine Schulter, richte sie schräg nach oben und suche den Abzug. Der Schuss löst sich schneller als erwartet. Scheiß kalte Hände, kein Gefühl mehr drin. Es rasselt laut. Den Knall kann ich nicht hören, nur das Echo davon. Dafür spüre ich einen Schlag vom Kolben an der Schulter und einen Schmerz am linken Zeigefinger, der halberfroren wie er war, jetzt taub ist.
    Mann, flehe ich stumm, bleib stehen.
    Aber jetzt rennt der Schatten auf den Zaun zu. Er erreicht ihn und beginnt hinaufzuklettern.
    Mir fällt ein, dass ein Kumpel neulich auf der Stube sagte, er wünschte sich, dass er auf der Wache mal einen schnappt. Dann gibt es Sonderurlaub. Urlaub! Wie das klingt! Nach zu Hause. Nach Katrin, meiner Freundin. Ich spüre ihre Wärme. Ihren warmen Körper in ihrem weichen Bett. Ich höre ihr schlaftrunkenes Murmeln, wenn ich spätabends noch zu ihr ins Bett kroch. Müde und frierend. Ich atme den Duft ihres Haares. Es riecht nach Sonne. Ich kann es spüren, wie es mein Gesicht bedeckt.
    Ich lehne mich gegen die Holzbrüstung. Die Kalaschnikow im Anschlag. Jetzt habe ich den Kolben vorschriftsmäßig in die linke Schulterbeuge gestemmt. Ich kneife das rechte Auge zu und visiere über Kimme und Korn. Waffe einziehen, einatmen, langsam ausatmen.
    Wie auf dem Schiessplatz... Urlaub ...

Kurz die Richtung korrigieren ...„Nagelt sie fest!“
    Die Gestalt klettert noch den ersten Zaun hoch... Sonne...
    Das kalte Metall der Waffe spüre ich wie einen Eisbeutel an meiner linken Wange ... Katrin...
    Meine Hände sind jetzt starr vor Angst und Kälte ....Schwedt..
    Der feine Nebel der Atemluft verdeckt mir für einen kurzen Moment die Sicht. Dann sehe ich die Gestalt wieder. Sie ist jetzt ganz oben auf dem Zaun angekommen ...Nach Hause...Endlich wieder.
    Mein tauber Zeigefinger krümmt sich am Abzug.
    “Goodbye strange it's been nice, hope you find your paradise
Tried to see your point of view, hope your dreams will all come true.”
    Ich kann selbst jetzt nicht die Stimme von Roger im Kopf abstellen. Sie macht mich ganz ruhig. Fast willenlos. Eiskalt. Ich bin eins mit der eisigen Nacht.
    Jetzt hab ich den Schatten genau im Visier...
    Den Kolben der Maschinenpistole spüre ich beim Schuss diesmal noch heftiger an der Schulter, als bei dem Warnschuss. Wieder das metallische Rasseln des nach hinten sausenden Verschlusses. Eine Patronenhülse fliegt nach rechts aus der Waffe und klirrt gegen die Holzwand des Turms. Ich sehe, wie die Wucht des Geschosses einen Mann vom Zaun reißt. Er bleibt mit einem Bein im Stacheldraht hängen und schlägt dann dumpf auf den gefrorenen Boden...
    Und ich höre wie jemand verzweifelt meinen Namen ruft.: „Mike, Mike..!“
    Der Schmerz in meiner Schulter wird immer stärker. Ich spüre noch den Kolben dagegen schlagen...
    “I believe, yes, I've got to get away.”
     
    Ich spüre den Schmerz immer noch, während die Dunkelheit und die Kälte sich langsam zu lichten beginnen. Nur meinen Namen höre ich. Immer wieder.
    „Mike, Mike!“
    Die Schmerzen an meiner Schulter halten an. Ich öffne mit einem Mal die Augen.
    Meine Frau Katrin sitzt neben mir und rüttelt mich an der Schulter.
    „Mike, Mike!” ruft sie laut und mit ängstlichem Gesicht.
    Als sie sieht, dass ich die Augen offen habe, seufzt sie:
    „Endlich! Ich dachte schon, ich bekomme dich nie wach.” Jetzt wirkte sie erleichtert. Ich liege auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer. Die Sonne scheint. Es ist warm und ich bin nassgeschwitzt.
    Ich blinzele und richte mich halb auf.
    „Was ist los?“
    „Was los ist? Du hast geschrieen.“
    Sie sagt das ohne Vorwurf. Eher besorgt.
    „Echt? Das tut mir leid.“
    Ich weiß nicht, ob ich mich schämen soll. Ich bin verlegen, reibe mir über die Augen und muss mich erst sammeln.
    „Warst du wieder da?“ Fragt sie mich leise.
    „Ja.“ Stammele ich.
    „Ich glaube, ja.“
    Sie lächelt schwach und umarmt mich.
    „Das ist jetzt achtundzwanzig Jahre
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