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Die Teilung des Paradieses

Die Teilung des Paradieses

Titel: Die Teilung des Paradieses
Autoren: Michael Heidenreich
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aber er dachte nicht darüber nach, woher.
    Er bog vom schattigen Hauptweg ab und gelangte an ein Feld von Grabsteinen, das von schmalen Wegen durchzogen wurde. Die Trauergesellschaft sah er schon von weitem.  Die Sonne, die nun schon hoch stand, brannte jetzt mit voller Kraft vom Himmel. Keine Wolke, die einen Hauch von Güte als flüchtigen Schatten über die kleine Gruppe fallen ließ. Beim Näherkommen konnte er Einzelheiten ausmachen. Die hellgrünen Blätter der Büsche und die zarten Spitzen der Hecken, die die Wege begrenzen und nur unzureichend den Blick auf das ausgehobene, rechteckige Grab versperren, bilden zusammen mit den weißborkigen  Birken und deren sanft winkenden, leise säuselnden Blättern einen auffallenden Kontrast zu den schwarzen Kleidern der irgendwie wie zufällig Dastehenden. Einen fast schon peinlichen Kontrast. Das Auge würde überlaufen von all dem  Farbreiz, wenn es nicht gezwungen wäre, angemessen  und halb niedergeschlagen auf die kleine, dunkle Höhle blicken zu müssen.
    Links neben der Grube, stand eine kleine, schwarz gekleidete Frau am Arm eines nicht mehr ganz jungen, großen Mannes. Beide kannte er. Die anderen hatte er noch nie gesehen.
    Er ging durch die Gruppe der Wartenden, die ihn neugierig anstarrten. Oder waren ihre Blicke feindselig? Oder einfach nur trauernd-emotionslos? Er wusste es nicht und es interessierte ihn auch nicht.
    Die kleine Trauergemeinde bildete eine Gasse, wich förmlich vor ihm zurück.
    Die kleine Frau, die sich im Laufe ihres Lebens die Fähigkeit angeeignet hatte, zu passender Gelegenheiten mit wohldosierten Tränen dem jeweiligen Ereignis die besondere Würdigung zuteil werden zu lassen und damit der ganzen Welt zeigen konnte, wie sehr sie litt, betupfte sich mit einem bestickten und mit Monogramm versehenen Tüchlein die Augen. Dem neugierigen Beobachter würde sich nur schwer erschließen, ob dieser Ritus dem Auslösen oder Eindämmen des Augenwassers diente. Das würde wohl auf ewig ihr Geheimnis bleiben.
    Der Mann neben ihr blickte mit unbewegtem Gesicht irgendwo hin. Schwer zu sagen, ob sie ihn bemerkt hatten.
    Er blieb vor dem Grab stehen, schaute auf den Sarg, der durch die daraufgeworfene Erde schon irgendwie „gebraucht“ aussah und wusste nicht, warum er eigentlich hier war. Er stand da mit gesenktem Kopf und starrer Mine.
    Ausdruckslos. Anteilnahmslos.
    Und plötzlich wollte er nur noch weg. Das übliche Ritual, mit dem Schippchen ein paar Krümel Sand in die Grube zu werfen, vermied er. Er drehte sich um, hielt aber kurz inne und warf einen Blick zurück. Dann, fast unhörbar murmelte er:
    „Machs gut...“
    Und dann fügte er - wie einem Zwang folgend - hinzu, ohne zu wissen warum.
    „...Vater.“
    Er nickte seinem Bruder zu, der immer noch die kleine Frau am Arm hatte. Seine Mutter zu umarmen, brachte er nicht fertig. Auch ihr nickte er nur knapp zu.
    Dann ging er wieder zurück auf den Hauptweg. Auf den Eingang mit dem schmiedeeisernen Tor zu.
    Er kehrte nie wieder zurück.   
     
     
     
     
     
     
     
     

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Breakfast in America
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Seit zwei Stunden stehe ich jetzt schon hier oben. Trotz der schneidenden Kälte und des pfeifenden Ostwindes schlage ich mich ganz tapfer bis jetzt, wie ich finde. Ich bin schon etwas stolz auf mich. Ich, das kleine, unbedeutende Rädchen im großen Getriebe, trotze den arktischen Temperaturen. 
    Ich schiebe den wattierten linken Ärmel ein Stück hoch. Das Zifferblatt meiner Uhr zeigt fünf vor halb zwei. Ich kann es gerade noch so erkennen.
    Die Nacht ist mondleer und doch nicht völlig dunkel. Die dünne Schneedecke macht es möglich, kleine Unterschiede im spärlich bewachsenen Gelände auszumachen. Die dünnen Sträucher, die Zaunpfosten und die riesigen Hallen weiter hinten.
    Vorsichtig bewege ich die Zehen in den dicken Filzstiefeln auf und ab. Ich wippe auf die Ballen und zurück auf die Hacken. Vor und zurück. Vor und zurück. Warm werden die Füße davon nicht. Nun trippele ich mit winzigen Schritten immer von der einen Holzwand zur anderen. Immer hin und her. Es sind genau acht Filzstiefelsohlen hintereinander bis zur gegenüberliegenden Wand. Oder drei gemächliche Schritte. Dann Kehrtwendung und wieder zurück.
    So geht das eine Ewigkeit. Glaube ich. Als ich wieder auf die Uhr sehe, sind gerade sechs Minuten vergangen
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