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Die Teilung des Paradieses

Die Teilung des Paradieses

Titel: Die Teilung des Paradieses
Autoren: Michael Heidenreich
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seit dem letzten Blick aufs schwach leuchtende Zifferblatt.
    Ich seufze und beginne die Wanderung aufs Neue. Drei Schritte vor, Kehrtwendung, drei Schritte zurück, Kehrtwendung....
    In Gedanken fange ich zu singen an. Also nicht richtig, nicht laut. Ich singe in Gedanken. Ich singe oft in Gedanken. Ich lasse die Melodie an mir vorüberziehen. In mir erklingen sozusagen. In Originalgeschwindigkeit oder langsamer, pathetischer. Das ist das Schöne an Gedankenmusik. Man kann ganz nach Stimmung und Belieben schöne Passagen endlos lange wiederholen und ausschmücken. Wieder von vorn beginnen oder mittendrin. Vor dem Keyboard Solo. Oder vor dem Refrain. Oder wo auch immer...
    Ich singe immer das, wonach mir gerade zumute ist. Die Stimmung ist absolut entscheidend dafür, ob ich ein Live Konzert von Deep Purple oder Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ mitsinge. Also innerlich mitsinge. Bei der Kälte wäre „Der Winter“ von Vivaldi wahrscheinlich sehr passend, aber Ironie für mich selber ist langweilig.
    Also entscheide ich mich für eine meiner Lieblingsplatten, die ich in Gedanken vor mir sehe. Ganz genau und in allen Einzelheiten. Supertramp, Breakfast in America. Die dralle amerikanische Kellnerin, in ihrem orangefarbenen Kittel und dem weißen Häubchen auf dem Kopf, die als lachende Freiheitsstatue posiert. Der rechte Arm nach oben ausgestreckt und statt der Fackel einen Teller mit einem Glas Orangensaft. Und in der linken Armbeuge die Speisekarte mit der Aufschrift „Breakfast in America“. Im Hintergrund aus Tassen, Tellern, Eierkartons und Salzstreuern  die Skyline von Manhattan nachgebildet. Ein typisch amerikanisches Frühstück auf einem Teller, inmitten der Pieranlagen aus Besteck. Ich glaube, das Cover hat auch einen Preis bekommen, kann mich aber im Moment nicht erinnern, welchen.
    Ich nehme die schwarze Scheibe aus der Hülle, lege sie auf den Plattenteller, alles in Gedanken natürlich, und setze den Tonarm auf. Es knackt laut und dann knistert es leise und so ganz allmählich aus dem Hintergrund, kaum wahrnehmbar zuerst, beginnen die ersten Takte, die Melodie wiederholt sich, immer wieder, wird lauter und mit einem Gitarrenriff wird die Keyboardeinleitung jäh unterbrochen. Ich bin mitten in „Gone Hollywood“.
    Wechselgesang Roger Hodgson mit Rick Davies. Wobei mir die Stimme von Roger Hodgson kalte Schauer über den Rücken treibt. Jedes mal. Auch wenn ich nur daran denke.
    ‚Großartig.’ denke ich.‚Als wäre mir noch nicht kalt genug.’
    Aber großartig sind auch die Stimmen der beiden Musiker von Supertramp. Die immer irgendwie melancholisch-klagende Stimme von Roger Hodgson und die kraftvolle von Rick Davies. Dazu noch das hämmernde Keyboard, das Saxophon, der treibende Rhythmus. Mein Kopf ist voll Musik. Ich spüre weder Kälte noch Wind. Ich bin ganz in Gedankenmusik versunken.
    Die Titel auf der Platte sind so zwischen drei bis sieben Minuten lang im Schnitt, als grob gerechnet fünf Minuten pro Stück, mal zehn Titel, macht knapp eine Stunde Musik. Damit hätte ich dann die Zeit bis zur Ablösung gut überbrückt, ohne in Versuchung zu geraten, doch noch kurz vor Schluss einzuschlafen. Das wäre die Katastrophe schlechthin. Erste Wache und gleich eingepennt. Dann könnte ich den nächsten Urlaub in den Wind schreiben.
    Hätte mir mal jemand erzählt, man könne auch im Stehen schlafen oder unter freiem Himmel oder eventuell auch beides zugleich, dann hätte ich vermutlich nur mitleidig gelächelt.. Jaja...
    Heute weiß ich, dass das auch bei Minus achtzehn Grad auf einem knapp zwei mal zwei Meter großen Holzturm in zirka vier Meter Höhe gut funktionieren kann, wenn man Pech hat. Aber ich hab ja nun meine ultimative Nicht-Einschlaf-Methode gefunden.
    Ich gähne und schaue schon wieder zur Uhr. Immer noch sechsundfünfzig Minuten.
    Ich bin bei Titel zwei der Supertramp Platte. Mein Lieblingstitel. The Logical Song. Wieder dieser typische, treibende Keyboard Sound. Die Stimme von Roger.. .
    „When I was young, it seemed that life was so wonderful, a miracle, it was beautiful, magical
And all the birds in the trees, well they'd be singing so happily, joyfully, playfully, watching me.”
Ich muss lächeln. Die Vögel in den Bäumen singen fröhlich, schelmisch, während sie mich beobachten. Wahrscheinlich schadenfroh. Wenn sie mich hier in dieser Kälte klappern sehen könnten.
    Dann das Saxophon Solo. Ich muss mich zusammenreißen um nicht laut mitzusingen. Ich klopfe den Rhythmus
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