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Die Tarnkappe

Die Tarnkappe

Titel: Die Tarnkappe
Autoren: Markus Orths
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aber, mein Gott, wie soll ich das erklären, jetzt ist mir mein Versteck abhanden gekommen, nein, sagen wir, mein Versteck geht nicht mehr, ich kann mich nicht mehr verstecken dort, ich brauch deine Hilfe.«
    Gregor redete hastig, etwas Gehetztes lag in seinen Worten, und plötzlich riss er den Hut vom Schädel. Sein Kopf blieb bedeckt vom Tuch, grau, ohne Muster, Gregor kratzte sich jetzt am Kopf, aber das war kein Kratzen, das war eine Kratz-Orgie, er nahm beide Hände zu Hilfe, schlug die Nägel in den tuchbedeckten Schädel, fuhrwerkte hin und her und grunzte. Es gibt für alles eine einfache Erklärung, dachte Simon: Gregor hat sich vielleicht bei der Übernachtung im Wohnheim Läuse gefangen, und um die Läuse am Springen zu hindern, hat er ein Kopftuch umgebunden, und unter das Kopftuch hat er Gift auf die Haare gerieben, aber noch wirkte das Mittel nicht, und jetzt schien sich Gregor durchs Kopftuch hindurch den Schädel blutig zu kratzen. Simon wurde immer unruhiger, er wusste nicht, wo er hinschauen sollte, doch dann war es endlich vorbei, Gregor setzte den Hut wieder auf, schob ihn zurecht, stöhnte auf, als wolle er sagen: Das tat gut . Er zog aus seiner Brusttasche einen Zahnstocher, schob ihn zwischen die Zähne und redete weiter, als wäre der Kratzanfall ohne Bedeutung und nichts Besonderes geschehen.
    »Hast du mich gesucht?«, unterbrach Simon ihn plötzlich. »Wie hast du rausgefunden, wo ich lebe?«
    »Nein, nein, das war ein Zufall. Die Kappe hat mich zu dir gebracht, ic h …«
    »Welche Kappe?«
    »Was? Ach so, das ist ne Redewendung. Sagt man das nicht? Die Kappe, die Hose, Jacke wie Hose, der Zufall, verstehst du, der Zufall hat mich hergebracht. Hör zu, ich muss einfach mal ein, zwei Nächte irgendwo untertauchen, ich saß dort, an der Haltestelle, hab dich sofort erkannt, erstaunlich, nach so vielen Jahren, hast dich nicht verändert, jetzt brauch ich deine Hilfe. Ich muss noch mal weg, was erledigen, ne Kleinigkeit, ist schon spät, bin in ner Stunde wieder da, ich versprech’s dir, dann sag ich dir alles, was du wissen musst, nur, du musst mir helfen, hörst du, du bist der Einzige, der mir helfen kann, ein, zwei Nächte, ich brauch nur einen Unterschlupf, und hier werden sie mich nicht finden, glaub mir, ich hab mich verkleidet, was denkst du, was für einen Zirkus ich machen muss, damit sie mich nicht finden, die Kerle, denk nicht, ich wär ein Penner oder so, ich tu nur so, als ob ich einer wär, das ist meine Verkleidung, wenn man sich nicht mehr verstecken kann, muss man sich verkleiden, aber ich muss los jetzt, hast du einen Zweitschlüssel? Gib ihn mir, ich bitte dich, nur, damit ich nachher wieder rein kann.«
    »Ich mach dir auf, wenn du zurückkommst.«
    »Und wenn nicht? Was soll ich dann tun? Wo soll ich dann hin?«
    »Geht es um den Koffer?«
    »Natürlich geht es um den Koffer! Der Koffer ist alles. Die dürfen ihn nie in die Finger kriegen!«
    »Und was ist da drin?«
    »Ich sag’s dir heut Abend. Das ist, das kann ich nicht in ein, zwei Sätze n …«
    »Ich muss wissen, was da drin ist! Vielleicht ist es ja Geld! Geklautes Geld! Ich trau dir alles zu. Vielleicht sind es Drogen? Ich kann keinen Koffer mit Drogen hier behalten! Ich mache mich strafbar. Woher weiß ic h …«
    »Hör zu, du musst mir vertrauen. Ich weiß, das ist schwer, aber du musst mir vertrauen. Da sind keine Drogen drin. Da ist kein Geld drin. Da ist nichts Illegales drin. Ich schwöre es beim Leben meiner Mutter, da ist, ich kann es dir nicht sagen, hörst du, noch nicht, heute Abend, ich muss jetzt los, die schließen in ner halben Stund e …«
    »Wer denn?«
    »Ich sage dir alles, wenn ich wieder zurück bin.«
    Simon schwieg. Er zögerte, ahnte, er würde sich geschlagen geben. Wie früher, wie immer, die alte Struktur, er war Gregor nie gewachsen gewesen. Doch kampflos wollte Simon nicht aufgeben. So sagte er plötzlich etwas, was er nicht für möglich gehalten hätte: »Und Carsten?«
    Gregor zuckte zusammen.
    »Und Carsten?«, fragte Simon noch einmal, lauter, und das Wort Carsten nahm sofort den gesamten Raum in Beschlag, Grundto n C, Cello, Endlosstrich.
    »Gibst du mir den Schlüssel?«, fragte Gregor.
    »Er hängt im Flur. An der Wand. Neben der Tür.«
    Gregor sprang auf, lief durchs Zimmer, der Koffer blieb zurück auf dem Tisch.
    »Kannst du den nicht mitnehmen?«, rief Simon.
    »Das geht nicht, bitte, bin ja gleich wieder hier, es kann sich nur um ein Stündchen handeln, vielleicht
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