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Die Superreichen

Die Superreichen

Titel: Die Superreichen
Autoren: Chrystia Freeland
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politischen System gediehen, in dem ein relativ breiter Anteil der Bevölkerung bei der Wahl des Herrschers der Republik, des Dogen, mitbestimmen konnte und erfolgreichen Emporkömmlingen der Aufstieg in die herrschende Klasse möglich war. Doch 1315 setzte das Establishment, das nach und nach seine Kontrolle über die Regierung gefestigt hatte, der sozialen Mobilität ein formales Ende mit der Veröffentlichung des Libro d’Oro (Goldenes Buch), eines offiziellen Registers der venezianischen Nobilität. Wer nicht dazugehörte, konnte nicht in die herrschende Oligarchie aufsteigen.
    Dieser politische Wechsel von einer aufkeimenden repräsentativen Demokratie zu einer Oligarchie stellte eine derartige Zäsur dar, dass die Venezianer ihm einen Namen gaben: serrata , die Schließung. Es dauerte nicht lange, bis die politische serrata auch zu einer wirtschaftlichen wurde. Unter der Kontrolle der Oligarchen beschnitt der venezianische Staat nach und nach die geschäftlichen Chancen neuer Marktteilnehmer. Die commenda , die rechtliche Innovation, die Venedig (und andere italienische Stadtstaaten) groß gemacht hatte, wurde verbannt. Die herrschende Elite der Serenissima handelte in ihrem unmittelbaren Eigeninteresse: Der Ausschluss aufstrebender neuer Unternehmer bedeutete, dass die alteingesessene Elite die alleinige Kontrolle über die lukrativen Handelsrouten behielt. Doch auf längere Sicht war die serrata der Anfang vom Ende der venezianischen Oligarchen und des Reichtums ihrer Stadt. 1500 war die Bevölkerung Venedigs kleiner als 1330, und während der Rest Europas im 17. und 18. Jahrhundert wuchs, setzte sich die Schrumpfung der Stadt fort.
    Die Geschichte vom Aufstieg und Fall Venedigs dient den Ökonomen Daron Acemoglu und James Robinson zur Illustration ihrer These, dass Erfolg oder Scheitern von Staaten davon abhängen, ob ihre Regierungsinstitutionen »extraktiv« oder »inklusiv« sind. 5 Extraktive Staaten, so die Autoren, werden von Herrschaftseliten kontrolliert, deren Ziel es ist, so viel Reichtum wie möglich aus dem Rest der Gesellschaft zu ziehen und ihre eigene Macht zu erhalten.
    Inklusive Staaten geben allen eine Stimme bei der Frage, wie ihre Gesellschaft regiert werden soll, und gewähren allen Zugang zu wirtschaftlichen Chancen. Inklusive Gesellschaften profitieren häufig von einer sich selbst verstärkenden positiven Dynamik, da größere Inklusivität mehr Wohlstand schafft, der wiederum stärkere Anreize zu noch größerer Inklusivität gibt. Die Geschichte der Vereinigten Staaten, gegründet im revolutionären Streben nach größerer Inklusivität, kann als eine solche Aufwärtsspirale gesehen werden.
    Mit der Geschichte der serrata veranschaulichen Acemoglu und Robinson jedoch, dass eine solche Aufwärtsdynamik auch gebrochen werden kann. Eliten, die dank eines inklusiven Systems prosperieren, können in Versuchung geraten, die Leiter, die sie emporgestiegen sind, hinter sich hochzuziehen. Es gibt viele Gründe, über den Aufstieg der Plutokraten besorgt zu sein: Da gibt es die Auswirkungen, die die rapide zunehmende Ungleichheit auf die bürgerlichen Werte hat, auf die Verbrechensraten, auf die Sterblichkeit, ja sogar, wie einige Untersuchungen nahelegen, auf die Gesundheit. Die größte Gefahr liegt jedoch in der serrata . Wenn die Elite an der obersten Spitze reicher wird, wächst ihre Fähigkeit, die Spielregeln zu ihren Gunsten zu ändern. Dieser Macht zu widerstehen kann schwer sein.
    Die serrata ist deshalb ein so nützliches Beispiel, weil die venezianischen Oligarchen, die ihre Gesellschaft abriegelten, ja das Produkt einer robusten offenen Wirtschaftsordnung waren. Sie kamen nicht als Oligarchen auf die Welt – sie hatten sich selbst zu welchen gemacht. Das ist wichtig, denn während wachsende Einkommensungleichheit selbst in Gesellschaften wie den Vereinigten Staaten, die auf offene Diskussionen über soziale Klassen zimperlich reagieren, zu einer nicht zu leugnenden politischen Tatsache geworden ist, bestand eine vorherrschende Reaktion darauf darin, die Plutokraten in gute und schlechte zu teilen: Steve Jobs ist ein Held, Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein ein Schurke; Konzerne sind schlecht, Mittelständler gut; Kredite für Investoren finanzieren Heuschrecken, Kredite von Gemeinschaftsbanken sind in Ordnung; Investmentbanken sind Spekulanten, die keine Rettung verdienen, Autobauern wie Opel oder General Motors dagegen muss man helfen, weil sie etwas herstellen.
    Niemand
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