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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Er hat erst ab der zweiten Stunde Unterricht. Die Leuchtstoffröhre rechts oberhalb der Tür flackert. Das ist neu. Auf Altmanns Platz liegen eine ›Autorevue‹, ein halber Apfel, eine ungeöffnete Milchschnitte und ein Ansichtsexemplar von Mistlbachers neuem Mathematikbuch für die ersten Klassen. Altmann steht bei Krivanek und lacht.
    Im Raum hängt ein dichtes Gespinst aus Gitternetzlinien. Seit zweieinhalb Stunden ist er hier und zieht diese Fäden, hin und her und hin und her, zwischen Gegenständen und Köpfen und winzigen Nebensächlichkeiten. Keiner hat es bemerkt. Dass er der Erste ist, fällt sowieso nicht weiter auf. Er ist immer der Erste. Er wird sich hineinwerfen in dieses Netz. Es wird ihn halten. Sylvia Ruthner schaut ihn an. Er schaut weg. Sie ist eine böse Frau.
    Nenne die Dinge beim Namen. Nimm sie, wie sie sind. Ein Heft ist ein Heft. Eine böse Frau ist eine böse Frau.
    Auf seinem Platz zuunterst, in Folie eingeschweißt, ein Blatt mit der Regel, A3, hinten und vorne klein bedruckt. Drei Sätze hat er mit einem Wäschemarker hervorgehoben:
    Die Stunde ist da, vom Schlaf aufzustehen.
    Lauft, damit die Schatten des Todes euch nicht überwältigen.
    Der Schwätzer hat keine Richtung auf Erden.
    Darüber seine Unterlagen. Erste Stunde Mathematik in der siebenten Klasse, zweite Stunde Mathematik in der ersten, dritte Stunde Religion in der sechsten, vierte Stunde frei, fünfte Stunde Religion in der ersten. Bücher, Hefte, Notizzettel. Nebeneinander vier niedrige Stapel. Manchmal besteht das Leben aus Fäden und Stapeln.
    Freyler fragt, wie es ihm geht. Er sagt: Danke, gut. Freyler stellt das Modell eines menschlichen Auges auf seinen Platz. Er ist ein netter Mensch, aber manchmal tut er Dinge, die eine eigenartige Stimmung erzeugen.
    Die Stunde ist da, vom Schlaf aufzustehen.
    Die Stunden davor hat er an die Frau gedacht und an das Kind, an die Frage, wie oft sie zum Friseur geht und ob sie sich ab und zu ein wenig Farbe ins Haar geben lässt. Jetzt denkt er daran, dass das Kind in einigen Jahren über die Sinnesorgane lernen wird und dass es vielleicht einen Lehrer haben wird, der Rinderaugen in den Unterricht mitbringt, und dann wird es den Arm heben und sagen: Ja, ich möchte auch eins auseinanderschneiden.
    Er nimmt den linkesten Stapel und wartet. Rings um ihn wenden sich die Leute in Richtung Tür. Siebente Klasse. Die ersten Kurvendiskussionen. Die Verwunderung mancher Schüler, dass das immer klappt: Du setzt die erste Ableitung gleich null und bekommst die Hoch- und die Tiefpunkte.
    Mit den anderen hinaus in die Aula, ins Stiegenhaus, nach oben in den zweiten Stock. Er geht den Gang entlang.
    Durch die großen Bogenfenster sieht man auf den Parkplatz im ersten Hof hinunter. Altmanns Espace, Verena Steinmetz’ türkisfarbener Peugeot. Keindl steigt aus seinem alten Mercedes. Er kommt oft zu spät. Vom Haupteingang nähert sich jemand. Das Stirnband, der Rucksack, die kleine Gestalt. Björn. Er geht schnurstracks auf den Fahrradabstellplatz zu und macht sich dort zu schaffen.
    Er sieht ihn hinten in der Kirche stehen und auf dem Friedhof zwischen den Zypressen. Er hört ihn sagen: Daniel ist wieder da.
    Das Gespinst gerät unter Spannung. Dort und da reißt ein Faden.
    Er legt den kleinen Stapel vor dem Fenster auf den Boden und wendet sich um.
    Lauft.
    Den Gang zurück, die Treppe hinunter, nach rechts zur Pforte. Er sieht den Rucksack im Torbogen verschwinden. Er zieht die Luft durch die Nase ein. Es ist eine Spur wärmer geworden. Schräg über den Hof. Er läuft.
    I’ll walk to the depth of the deepest black forest.
    Clemens hat ihm untersagt, den iPod in die Schule mitzunehmen. Er hat ihm angedroht, ihn aus dem Schuldienst zu stellen, sollte er sich nicht daran halten. Momentan macht ihm das nicht allzu viel aus. Er kriegt seine Musik trotzdem ins Ohr. Er muss nur die Quetiapin-Dosis wieder zurücknehmen. Tut er das nicht, wird alles still und leer.
    Ein kurzes Stück die Stiftsallee entlang, dann geradeaus über die Bahn und gleich danach links ab in die Grafenaustraße. Björn scheint es eilig zu haben. Man merkt, dass es nicht sein eigenes Rad ist.
    Einiges fühlt sich falsch an. Die Hose, der warme Pullover, vor allem die Schuhe.
    I saw guns and sharp swords in the hands of young children.
    Die Siedlungshäuser, danach die drei Hallen des Holzwerkes, die kleinere olivgrüne, die größere olivgrüne, die ockergelbe. An der Verlängerung der Grafenaustraße liegt eine Gruppe
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