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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens
Autoren: Paulus Hochgatterer
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geht ein jeder hin und die Dinge werden einem genau erklärt mit den Pollen und den Hinterbeinen und der Königin und am Schluss bekommt man ein kleines Glas mit einer Kostprobe.
    Die Fahrbahn ist ein Stück über das letzte Haus hinaus geräumt, ab dann wird alles mühsam. Ich fahre in der rechten der beiden tiefen Reifenspuren. Ich stehe in den Pedalen und versuche ganz regelmäßig zu treten, aber es ist so rumpelig, dass ich alle paar Meter mit einem Fuß zu Boden muss. Hinter der ersten Kehre ist der Weg verschüttet, vielleicht durch eine kleine Lawine oder zugeschaufelt. Ich lege das Rad an die Böschung. Ich sperre es nicht ab. Keiner kommt hierher. Ich klettere über den Schneeberg. Drüben werfe ich den Umhang über und setze die Maske auf. Ich schiebe sie mir die Stirn hinauf, sodass sie auf meinem Scheitel liegt. Dann gehe ich zu Fuß weiter, in der rechten Reifenspur, wie zuvor. Ich stelle mir vor, ich sitze oben auf einem Tauntaun und brauche ihm nur Kommandos zu geben. Es läuft zügig dahin und selbst die ärgsten Anstiege machen ihm nichts aus.
    Ich frage mich verschiedene Dinge, zum Beispiel, wie rasch die Bienen erfroren sind, als ihnen die Stöcke zerschlagen wurden, ob es welche gegeben hat, die noch fünf Meter geflogen sind oder sogar bis zum ersten Baum am Waldrand, oder ob es möglich war, das alles in derselben Weise zu machen wie die Sache mit den Enten und Katzen, mit einem Fausthammer und ganz viel Kraft. Und ich frage mich auch, ob sie Daniel inzwischen mit einem feuchten Handtuch bearbeitet haben oder mit irgendwelchen Psychotricks und ob sie ihm Schlafentzug angedroht haben oder die Isolationszelle. Ich weiß nur, dass er nichts gesagt haben wird, kein einziges Wort.
    Es sind in Summe elf Kehren, bis das Gelände flacher wird. Das habe ich auch von Daniel gelernt: Das Leben wird sicherer, wenn du mitzählst. Ich ziehe die Maske übers Gesicht. Ich atme wie Darth Vader. Das Gestrüpp hört auf, die Bäume stehen jetzt nicht mehr so dicht und nach zwei, drei Geländekuppen hast du den Blick frei auf die Lichtung.
    Ich stehe da und weiß, dass irgendetwas komplett falsch ist. Ich kann mich an die Dinge genau erinnern: Wir sehen ein Buntspechtpärchen in Spiralen den Stamm einer Föhre emporlaufen; Frau Zelsacher, unsere Lehrerin, hat Säcke mit Fruchtgummis dabei; Dorothea Schaupp fällt hin und schlägt sich das Knie auf und jemand nimmt sie hoch und trägt sie das letzte Stück, dorthin, wo sich im Sommer die Wiese befindet. Ich kann mich genau an die bunten Bienenkästen erinnern, sogar daran, dass der erste Kasten in der untersten Reihe dunkelrot gestrichen ist, und auch an den alten schwarzen Schuppen rechts hinten. Es ist alles exakt wie damals. Das ist aber komplett falsch.
    ›Ein Bild der Verwüstung‹ ist in der Zeitung gestanden, das habe ich mir gemerkt, und es ist drin gestanden, sechzehn Bienenkästen seien völlig zerstört worden. Hier sind zweiundzwanzig Kästen aufgestapelt, zwölf in der unteren Reihe, zehn darüber. Alle sind heil. Ich gehe langsam den Holzverschlag entlang. Ich benütze die Fußstapfen, die dort vorhanden sind. Nichts ist zerstört, gar nichts. Oben auf dem Flugdach liegen vielleicht dreißig Zentimeter Schnee. An einem Ende hat jemand den Schnee weggewischt, keiner weiß, warum.
    Ich werde gleich nach Hause fahren, mit Leos Rad. Ich werde zu Daniel ins Zimmer gehen und ihm sagen: Es existiert keine fremde Macht, das alles war ein großer Irrtum. Dann werde ich ihn anschauen und ihn fragen, wie er das mit dem alten Mann gemacht hat, mit welchem Auto und mit welchem Werkzeug und wann, wo er doch den ganzen Abend mit mir in seinem Zimmer war.
    Ich quere die freie Fläche, um wieder zu den Reifenspuren zu gelangen. Sie führen direkt auf den schwarzen Schuppen zu.
    Das Tor des Schuppens hat kein Schloss, sondern nur einen Drehriegel aus Holz. Ich lege ihn um und ziehe den rechten Torflügel einen Spalt auf. Erst sehe ich gar nichts, dann schon etwas.

Einundzwanzig
    Im Konferenzzimmer befinden sich zwölf Leute. Jetzt sind es dreizehn; Verena Steinmetz ist soeben hereingekommen. Sie trägt ihre rote Aktentasche, als wäre sie Anwältin in einem amerikanischen Spielfilm. Auf ihrem Platz liegt gar nichts. Links daneben befindet sich Brandhubers Platz. Auf ihm liegen ein ›Textus‹ der vierten Klasse, eine ›Aeneis‹ des Vergil, ›Ab urbe condita‹ von Livius und siebenundzwanzig Schularbeitenhefte der sechsten Klasse. Brandhuber ist noch nicht da.
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