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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin
Autoren: Petra Hammesfahr
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und sie beruhigte sich. Was das Paar hinter ihr tat, ging sie nichts an. Es war normal und harmlos, und die Musik war nicht einmal lästig. Irgendeiner sang etwas in englischer Sprache.
    Außer der Musik hörte sie die helle Stimme einer Frau und die bedächtige Stimme eines Mannes. Es musste der sein, der aufrecht saß. Und so wie er sprach, schien er die Frau noch nicht lange zu kennen. Er nannte sie Alice. Der Name erinnerte sie an ein Buch, das sie als Kind besessen hatte. Für einen Tag! Alice im Wunderland. Gelesen hatte sie es nicht. Dazu war sie nicht gekommen in den paar Stunden. Vater hatte ihr erzählt, wovon es handelte. Aber was Vater erzählt hatte – es hatte nicht mehr Wert gehabt als sein Versprechen: «Eines Tages wird es besser.»
    Der Mann hinter ihrem Sessel erzählte, dass er sich selbständig machen wolle. Er habe ein gutes Angebot, in eine Gemeinschaftspraxis einzusteigen, erklärte er Alice. Von den beiden, die lagen, war nichts zu hören.
    Gereon spähte an ihrem Arm vorbei und grinste. Automatisch warf sie einen Blick über die Schulter. Der dunkelhaarige Mann hatte sich aufgerichtet. Er kniete, immer noch mit dem Rücken zu ihr, neben der weißblonden Frau, hatte ihr das Oberteil des Bikinis ausgezogen und Sonnenöl zwischen ihre Brüste gegossen. Die Pfütze war deutlich zu erkennen. Er war dabei, sie zu verteilen. Die Frau rekelte sich unter seinen Händen. Es sah aus, als genieße sie es. Dann setzte die Frau sich ebenfalls. «Jetzt du», sagte sie. «Aber zuerst machen wir richtige Musik. Bei dem Gedudel schläft man ja ein.»
    Neben den Beinen der weißblonden Frau lag ein bunter Stoffbeutel. Sie fasste hinein und zog eine Musikkassette heraus. Der dunkelhaarige Mann protestierte: «Nein, Ute, die nicht. Das ist nicht fair. Wo hast du die her? Gib sie mir!» Er griff nach dem Arm der Frau. Die Frau ließ sich nach hinten fallen, und der Mann fiel über sie. Sie balgten herum, rollten fast von der Decke.
    Gereon grinste immer noch.
    Dann lag der Mann unten, die Frau saß rittlings auf ihm, streckte den Arm mit der Musikkassette in die Luft, lachte und keuchte: «Gewonnen, gewonnen. Verdirb uns nicht den Spaß, Schätzchen. Die Musik ist phantastisch.» Sie beugte sich zu dem Radiorecorder hinüber. Ihr langes weißblondes Haar streifte die Beine des Mannes, während sie die Kassette in den Recorder schob und auf eine Taste drückte. Dann drehte sie die Lautstärke höher.
    Der Satz ‹Verdirb uns nicht den Spaß› und der Ausdruck ‹Schätzchen› hatten ihr einen Stich versetzt und etwas im Innern zum Schwingen gebracht. Als die ersten Takte der Musik aufklangen, ließ die weißblonde Frau sich nach vorne fallen und umschloss das Gesicht des Mannes mit beiden Händen. Sie küsste ihn und bewegte die Hüften über seinem Schoß.
    Und Gereon bekam seinen nervösen Blick. «Soll ich dich jetzt eincremen?» fragte er.
    «Nein!» So heftig hatte sie nicht werden wollen. Aber was die Frau da trieb und wie Gereon darauf reagierte, machte sie wütend. Abrupt stand sie auf. Es wurde Zeit, sich von dem Kind zu verabschieden. Das wollte sie in Ruhe tun, nicht mit einem Weib in unmittelbarer Nähe, das ihr überdeutlich vor Augen führte, woran sie gescheitert war.
    «Sie könnten wenigstens die Musik leiser stellen», sagte sie. «Hier ist laute Musik verboten.»
    Gereon verzog abfällig das Gesicht. «Demnächst wird hier noch das Atmen verboten. Reg dich bloß nicht künstlich auf. Mir gefällt die Musik, und der Rest gefällt mir auch. Die hat jedenfalls Feuer im Hintern.»
    Sie kümmerte sich nicht um das, was er sagte, nahm das Kind auf den Arm und griff mit der freien Hand nach dem roten Fisch. Es tat gut und beruhigte, den warmen, festen Körper zu fühlen, das Windelpaket unter dem weißen Höschen, den runden Arm im Nacken und das Babygesicht so dicht vor Augen.
    Auf dem seichten Uferstreifen stellte sie ihren Sohn auf die Füße. Er zuckte zusammen. Das Wasser war kühl, nachdem er so lange in der Hitze gesessen hatte. Nach ein paar Sekunden hockte er sich hin und blinzelte zu ihr hoch. Sie reichte ihm den roten Fisch, er tauchte ihn ein.
    Er war ein hübsches Kind, ein stilles Kind. Er sprach nicht viel, obwohl er über einen verhältnismäßig großen Wortschatz verfügte und deutlich in kurzen Sätzen artikulieren konnte. «Ich mag essen.» – «Papa muss arbeiten.» – «Oma kocht Pudding.» – «Das ist Mamas Bett.»
    Einmal, kurz nach dem Umzug ins eigene Haus, er war
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