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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin
Autoren: Petra Hammesfahr
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Gesicht und richtete sich auf. Die Großmutter riss das Baby hoch und presste es sich gegen die Brust. Der Vater machte Anstalten, sich zu erheben.
    Dann war Gereon endlich aus dem Sessel und in der nächsten Sekunde über ihr. Er schlug mit der Faust in ihren Rücken,wollte die Hand mit dem Messer packen, als sie den Arm erneut anhob. Er brüllte: «Cora! Lass den Scheiß! Bist du wahnsinnig?»
    Nein, nein, sie war völlig klar im Kopf. Es war alles gut. Es war alles richtig. Es musste so sein. Das wusste sie mit Sicherheit. Und der Mann wusste es auch, es war in seinen Augen zu lesen. «Dies ist mein Blut, das für deine Sünden vergossen wird.»
    Als Gereon sich auf sie warf, kamen ihm der sitzende Mann und der Vater der kleinen Mädchen zu Hilfe. Beide hielten ihr je einen Arm fest, während Gereon ihr das Messer aus den Fingern zerrte, mit einer Hand in ihr Haar griff, ihren Kopf nach hinten zog und ihr mehrfach mit der Faust ins Gesicht schlug.
    Gereon blutete aus zwei oder drei Wunden am Arm. Sie hatte auch nach ihm gestoßen, obwohl sie das nicht hatte tun wollen. Der sitzende Mann schrie nun Gereon an, er solle aufhören. Das tat er schließlich auch. Aber er hielt sie mit eisernem Griff im Nacken und presste ihr Gesicht auf die blutige Brust des Mannes.
    Es war still in der Brust. Es war auch sonst fast still. Noch ein paar Rhythmen, ein letztes Schlagzeugsolo kurz vor dem Bandende. Dann machte es Klack. Eine Taste am Radiorecorder sprang hoch, es war vorbei.
    Sie spürte Gereons Griff, die tauben Stellen im Gesicht, wo seine Faust sie getroffen hatte, das Blut unter der Wange und den Geschmack davon auf den Lippen. Sie hörte das Gemurmel ringsum. Die Frau mit dem weißblonden Haar wimmerte.
    Sie streckte eine Hand aus, um sie der Frau aufs Bein zu legen. «Keine Angst», sagte sie. «Er wird dich nicht schlagen. Komm. Komm weg hier. Verschwinden wir. Wir hätten nicht herkommen dürfen. Kannst du alleine aufstehen, oder soll ich dir helfen?» Auf ihrer Decke begann das Kind zu weinen.

2.   Kapitel
    Ich habe als Kind nicht viel geweint, nur einmal. Und da habe ich nicht geweint, sondern vor Angst geschrien. In den letzten Jahren habe ich nicht mehr daran gedacht. Aber ich erinnere mich genau. Ich bin in einem halbdunklen Schlafzimmer. Vor dem Fenster hängen Gardinen aus schwerem braunem Stoff. Sie bewegen sich. Das Fenster muss offen sein. Es ist kalt im Zimmer. Ich friere.
    Ich stehe neben einem Doppelbett. Die eine Hälfte ist ordentlich gemacht, die zweite, beim Fenster, ist zerwühlt. Von ihr geht ein muffiger, säuerlicher Geruch aus, als ob die Wäsche lange nicht gewechselt wurde.
    Es gefällt mir nicht in dem Zimmer. Die Kälte, der Gestank von monatealtem Schweiß, ein schäbiger Läufer auf nackten Holzbrettern. Da, wo ich gerade hergekommen bin, liegt ein dicker Teppich auf dem Fußboden, und es ist schön warm. Ich zerre an der Hand, die meine hält. Ich will gehen.
    Auf der ordentlich gemachten Seite des Bettes sitzt eine Frau. Sie trägt einen Mantel und hält ein Baby im Arm. Es ist in eine Decke gewickelt, ich soll es mir ansehen. Es ist meine Schwester Magdalena. Man hat mir gesagt, dass ich jetzt eine Schwester habe und dass wir gehen, um sie anzuschauen. Aber ich sehe nur die Frau im Mantel.
    Sie ist mir völlig fremd. Sie ist meine Mutter, die ich lange nicht gesehen habe. Ein halbes Jahr. Das ist viel Zeit für ein kleines Kind. So weit reicht das Gedächtnis nicht. Und jetzt soll ich bei dieser Frau bleiben, die nur Augen für das Deckenbündel hat.
    Ihr Gesicht macht mir Angst. Hart ist es, grau und bitter. Endlich schaut sie mich an. Ihre Stimme klingt, wie sie aussieht.Sie sagt: «Der Herr hat uns die Schuld nicht verziehen.»
    Dann schlägt sie die Decke zurück, und ich sehe ein winziges blaues Gesicht. Die Frau spricht weiter: «Er hat uns eine Prüfung geschickt. Wir müssen sie bestehen. Wir werden tun, was er von uns erwartet.»
    Dass ich mir die Worte damals merken konnte, glaube ich nicht. Man hat sie mir später oft gesagt, deshalb kenne ich sie wohl noch so genau.
    Ich will weg da. Die komische Stimme der Frau, das winzige blaue Gesicht in der Decke, damit will ich nichts zu tun haben. Ich zerre wieder an der Hand, die meine hält, und beginne zu schreien. Jemand hebt mich hoch und spricht beruhigend auf mich ein. Meine Mutter! Ich bin fest überzeugt, dass die Frau, die mich auf den Arm nimmt, meine richtige Mutter ist. Ich klammere mich fest an sie und bin
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