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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin
Autoren: Petra Hammesfahr
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leider sind sie nicht über den Keller hinausgekommen. Frankie saß am Schlagzeug.»
    Frankie, das hallte kurz in ihrem Kopf nach. Freunde, Keller, Schlagzeug, das prägte sich ein.
    «Warst du auch dabei?» fragte Alice.
    «Nein», bekam sie zur Antwort, «ich kannte ihn damals noch nicht.»
    Gereon reckte sich im Sessel und warf einen Blick auf das Apfelstück in ihren Händen. «Er isst ja bestimmt nicht alles. Den Rest kannst du mir geben.»
    «Den Rest esse ich selbst», sagte sie. «Und danach schwimme ich noch eine Runde. Du kannst dir einen nehmen. Es ist noch einer da.» Als letztes ein Stück Apfel! Golden Delicious, die Sorte hatte sie schon als Kind geliebt. Allein bei dem Gedanken wurde ihr der Mund wässrig.
    Auf der Decke richtete sich die weißblonde Frau auf. Sie sah es aus den Augenwinkeln. «Wartet mal», sagte die Frau und drückte eine Taste am Radiorecorder. «Ich spule ein Stück vor. Was bisher gelaufen ist, ist nichts im Vergleich mit dem ‹Song of Tiger›! Das ist das Beste, was ihr je gehört habt.»
    Der dunkelhaarige Mann rollte sich herum und griff wieder nach dem Arm der Frau. Zum ersten Mal sah sie sein Gesicht, es sagte ihr nichts. Auch seine Stimme ging wie zuvor in ein Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus, als er erneut und diesmal heftiger protestierte: «Nein, Ute, es reicht jetzt. Das nicht. Tu mir das nicht an.» Es schien ihm sehr ernst mit seinen Worten. Aber Ute lachte und wehrte seine Hände ab.
    Cora dachte an ihr Haus. Dass die Schwiegermutter garantiert jeden Winkel durchstöbern und nichts finden würde, worüber sie meckern könnte. Es war alles blitzblank. Die Bücher waren auch in Ordnung. Niemand konnte ihr nachsagen, sie sei eine Schlampe gewesen.
    Von einem Apfelviertel hatte sie das Kerngehäuse entfernt und die Schale so dünn wie möglich. Sie hielt dem Kind das Stück hin, griff nach dem zweiten Viertel, um auch für sich das Kerngehäuse herauszuschneiden. In dem Augenblick setzte die Musik wieder ein, noch lauter als vorhin. Sie wollte nicht hinschauen, schielte trotzdem aus den Augenwinkeln zur Seite und sah, wie die weißblonde Frau sich zurückfallen ließ. Beide Hände hielt sie an den Schultern des Mannes und riss ihn mit. Sie sah, wie er eine Hand in das weißblonde Haar wickelte. Wie er daran zog und den Kopf der Frau in eine Position brachte, die ihm angenehm war. Dann küsste er sie. Und das Schlagzeug   …
    Die Apfelstücke fielen ins Gras, als sie aufsprang. Gereon zuckte zusammen, als sie zu schreien begann. «Hört auf, ihr Schweine! Aufhören! Lass sie los! Du sollst sie loslassen!»
    Beim ersten Satz hatte sie sich zur Seite und auf die Knie geworfen, beim letzten hatte sie das kleine Messer bereits einmal in den Mann gestoßen.
    Mit dem ersten Stich traf sie ihn in den Nacken. Er schrie auf, rollte den Oberkörper herum und griff nach ihrem Handgelenk. Er bekam es auch zu fassen und hielt es für einoder zwei Sekunden fest umklammert. Dabei schaute er sie an. Und dann ließ er sie los und schaute sie nur noch an. Er murmelte etwas. Sie verstand ihn nicht. Die Musik war zu laut.
    Und das war es! Das war das Lied aus ihrem Kopf, das Lied, mit dem der Wahnsinn begann. Es schallte über den platt getretenen Rasen, streifte entsetzte Gesichter und steife Körper.
    Mit dem zweiten Stich traf sie ihn seitlich in den Hals. Er riss die Augen weit auf, gab aber keinen Ton mehr von sich, griff nur mit einer Hand zum Hals und schaute ihr dabei in die Augen. Das Blut spritzte zwischen seinen Fingern durch, so rot wie der kleine Plastikfisch. Die weißblonde Frau kreischte und versuchte, unter seinen Beinen wegzukriechen.
    Sie stieß noch einmal hinunter und noch einmal. Ein Stich in die Kehle. Ein Stich in die Schulter, ein Stich durch die Wange. Das Messer war klein, aber sehr spitz und sehr scharf. Und die Musik war so laut. Das Lied füllte den ganzen Kopf aus.
    Der Mann, der bis dahin nur gesessen und sich mit Alice unterhalten hatte, schrie etwas. Es klang wie: «Aufhören!»
    Natürlich! Darum ging es doch. Aufhören! Hört auf, ihr Schweine! Der sitzende Mann bewegte eine Hand nach vorne, als wolle er ihr in den Arm fallen. Aber das tat er nicht. Niemand tat etwas. Es war, als seien sie alle in der Zeit eingefroren. Alice presste beide Hände vor den Mund. Die weißblonde Frau wimmerte und kreischte abwechselnd. Die kleinen Mädchen in den rüschenbesetzten Bikinis drückten sich eng an ihre Mutter. Der Großvater nahm die Zeitung vom
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