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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin
Autoren: Petra Hammesfahr
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und nahm in einem der Sessel Platz.
    Gereon saß bereits. «Soll ich dich eincremen?» fragte er.
    «Das habe ich daheim schon gemacht.»
    «Im Rücken kommst du doch gar nicht überall hin.»
    «Ich sitze ja auch nicht mit dem Rücken in der Sonne.»
    Gereon zuckte mit den Achseln, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie schaute aufs Wasser. Es zog sie an wie ein straff gespanntes Gummiseil. Es dürfte nicht leicht sein für eine geübte Schwimmerin. Aber wenn sie vorab eine Runde drehte und sich dabei völlig verausgabte   … Sie erhob sich wieder, nahm die Sonnenbrille ab und sagte: «Ich geh ins Wasser.» Es war überflüssig, ihm das zu sagen. Er öffnete nicht einmal die Augen.
    Sie ging über das Gras und den schmalen Sandstreifen und watete durch das flache Uferstück. Das Wasser war kühl und frisch. Als sie eintauchte und es ihr über dem Kopf zusammenschlug, überlief sie ein angenehmer Schauer.
    Sie schwamm bis zur Absperrung, die den bewachten Strand vom offenen See trennte, und ein Stück daran entlang. Unvermittelt geriet sie in Versuchung, es sofort zu tun – die Absperrung überwinden und hinausschwimmen. Verboten war das nicht. Es gab auch am anderen Ufer ein paar Decken und Sitzgruppen, solche, die den Eintritt scheuten, denen es nichts ausmachte, sich zwischen Steine und Gestrüpp zu legen. Aber der Rettungsschwimmer auf dem Holztürmchen am befestigten Strand behielt auch die Seite im Auge. Nur konnte er nicht alles sehen und nicht schnell genug an Ort und Stelle sein, wenn weiter hinten etwas passierte. Und Voraussetzung war auch, dass jemand um Hilfe schrie oder wenigstens mit den Armen ruderte. Wenn in dem Gewimmel ein Kopf einfach wegtauchte   …
    Es hieß, im See sei einmal ein Mann ertrunken, die Leichehabe man nie gefunden. Ob das stimmte, wusste sie nicht, wenn ja, musste der Mann noch da unten sein. Dann könnte sie dort mit ihm leben, zwischen den Fischen und den Algen. Es musste schön sein in einer Wassertropfenwelt, in der es keine Lieder und keine schwarzen Träume gab, in der es nur rauschte und geheimnisvoll grün oder braun aussah. Der Mann im See hatte zuletzt garantiert kein Schlagzeug gehört. Nur den Schlag des eigenen Herzens. Keine Bassgitarre und nicht das Pfeifen einer Orgel. Nur das Summen des eigenen Blutes in den Ohren.
    Nach fast einer Stunde schwamm sie zurück, obwohl es schwer fiel. Aber einen Großteil Kraft hatte sie bereits im Wasser gelassen. Und da war das Bedürfnis, noch ein Weilchen mit dem Kind zu spielen, ihm vielleicht zu erklären, warum sie gehen musste. Der Kleine verstand es ja nicht. Sie wollte sich auch unauffällig von Gereon verabschieden.
     
    Als sie ihren Platz erreichte, war das ältere Paar rechts von ihnen verschwunden. Nur die beiden Liegestühle standen noch da. Und der Platz links neben ihnen war nicht mehr frei. Von den spielenden Kindern und ihrem Ball war weit und breit nichts mehr zu sehen. Da lag jetzt eine hellgrüne Decke so nahe bei ihrem Klappsessel, dass das Rohrgestell an den Stoff anschloss. Mitten auf der Decke stand ein großes Kofferradio mit Kassettenteil, aus dem Musik in den Nachmittag dudelte.
    Um das Radio verteilten sich vier Leute, alle waren im selben Alter wie sie und Gereon. Zwei Männer, zwei Frauen. Zwei Paare! Eins saß aufrecht mit angezogenen Beinen und unterhielt sich nur. Beide Gesichter waren im Profil zu erkennen. Das zweite Paar hatte vorerst keine Gesichter. Es lag ausgestreckt, die Frau unten, der Mann über ihr.
    Vom Kopf der Frau war nur das Haar zu sehen, ein sehr helles Blond, fast weiß – und sehr lang, es reichte ihr bis andie Hüften. Der Mann hatte kräftiges dunkles Haar, das sich im Nacken ringelte. Seine muskulösen Beine lagen zwischen den gespreizten Beinen der Frau. Seine Hände umschlossen ihren Kopf. Er küsste sie.
    Der Anblick krampfte ihr unvermittelt das Herz zusammen. Sie hatte Mühe zu atmen, fühlte das Blut in den Beinen versacken. Ihr Kopf wurde leer. Nur um ihn wieder zu füllen, bückte sie sich unter den Schirm und griff nach einem Handtuch. Und nur um das Poltern zu übertönen, mit dem der Herzschlag wieder einsetzte, strich sie dem Kind über den Kopf, sprach ein paar Worte mit ihm, kramte den roten Plastikfisch aus der Umhängetasche und drückte ihn dem Kind in die Finger.
    Dann drehte sie ihren Sessel so, dass sie der Gruppe mit dem Radio den Rücken zukehrte. Trotzdem schwebte ihr der Anblick weiter vor den Augen. Nur allmählich verblasste das Bild,
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