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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin
Autoren: Petra Hammesfahr
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genommen. Er schaltete das Radio aus, löschte das Licht und zog sich die Decke über die Schulter. Gute Nacht wünschte er ihr nicht, brummte nur: «Dann eben nicht!»
    Er schlief rasch ein. Sie hätte später nicht sagen können, ob sie ebenfalls eingeschlafen war. Irgendwann saß sie aufrecht im Bett, schlug mit den Fäusten um sich und schrie: «Aufhö ren ! Loslassen! Lasst mich los! Hört auf, ihr Schweine!» Und dabei zuckten ihr die wüsten Wirbel des Schlagzeugs, die Bassgitarre und schrillen Orgelklänge durch den Kopf.
    Gereon erwachte, griff nach ihren Händen, schüttelte sie und schrie ebenfalls. «Cora! Hör auf! Was soll denn der Scheiß?» Sie konnte nicht aufhören und nicht aufwachen. Sie saß in der Dunkelheit und kämpfte verzweifelt gegen etwas, das langsam auf sie zukam, etwas, von dem sie nur wusste, dass es sie um den Verstand brachte.
    Erst als Gereon ihr mehrere leichte Schläge gegen die Wangen versetzte, fand sie zu sich. Er wollte wissen, was los sei mit ihr. Ob er ihr irgendwas getan habe. Ihr Kopf war noch nicht klar genug, um ihm auf der Stelle zu antworten. Sie starrte ihn nur an. Nach ein paar Sekunden legte er sich zurück. Sie folgte seinem Beispiel, drehte sich auf die Seite und versuchte sich einzureden, es sei nur ein gewöhnlicher Albtraum gewesen.
    Aber in der darauf folgenden Nacht, als Gereon das Versäumte nachholen wollte, geschah es wieder, obwohl diesmal kein Radio im Schlafzimmer stand und er auch keine Anstalten machte, das mit ihr zu tun, was er als höchsten Ausdruck von Liebe empfand. Zuerst kam die Musik, etwas lauter und etwas länger, lange genug, um zu erkennen, dass sie dieses Lied noch nie gehört hatte. Dann fiel sie in das schwarze Loch, aus dem sie schreiend und um sich schlagend hochfuhr. Nicht erwachte – das gelang ihr erst, als Gereon sie schüttelte, gegen ihre Wangen schlug und ihren Namen rief.
    In der ersten Januarwoche passierte es zweimal, in der zweiten einmal, da war Gereon am Freitag zu müde. Jedenfalls behauptete er, müde zu sein. Aber am Samstag sagte er: «Allmählich habe ich das Theater satt.» Vielleicht war das auch am Freitag schon der Grund gewesen.
    Im März bestand Gereon darauf, dass sie zu einem Arzt ging. «Das ist nicht normal, das musst du zugeben. Da muss man doch endlich was unternehmen. Oder soll das jetzt immer so weitergehen? Dann schlaf ich aber auf der Couch.»
    Sie ging nicht zu einem Arzt. Ein Arzt hätte garantiert gefragt, ob sie eine Erklärung für diesen merkwürdigen Albtraum wisse oder zumindest dafür, warum es immer nur dann geschah, wenn Gereon mit ihr geschlafen hatte. Ein Arzt hätte wahrscheinlich begonnen, in dem Loch zu stochern, hätte ihr eingeredet, man müsse sich die Dinge bewusst machen. Ein Arzt hätte nicht verstanden, dass es Dingegab, die zu grausam waren, um sie sich bewusst zu machen. Sie versuchte es mit einer Apotheke. Man empfahl ihr ein leichtes Schlafmittel. Damit erreichte sie immerhin, dass das Schreien und Um-sich-Schlagen ausblieb und Gereon annahm, es sei nun alles wieder in Ordnung. Das war es nicht.
     
    Es wurde mit jedem Wochenende schlimmer. Schon im Mai war die Angst vor dem Freitagabend wie ein Tier, das sie langsam von innen zerfleischte. Der Freitagnachmittag Anfang Juli war die Hölle.
    Sie saß im Büro, das nicht mehr war als ein vom übrigen Lagerraum abgeteilter Winkel. Über dem Schreibtisch brannte eine Lampe, und am äußeren Rand des Lichtkegels stand ein Faxgerät, das Datum und Uhrzeit anzeigte.
    4.   Jul. 16   :   50! Noch zehn Minuten bis zum Feierabend. Noch etwa fünf Stunden, bis Gereon die Hand nach ihr ausstreckte. Am liebsten wäre sie sitzen geblieben bis Montag früh. Solange sie hinter dem Schreibtisch saß, war sie tüchtig und clever, Seele und Motor in der Firma des Schwiegervaters.
    Ein Familienbetrieb, nur sie, ihr Schwiegervater, Gereon und ein Angestellter, Manni Weber. Ein Installationsunternehmen, Heizung und Wasser, und ohne sie lief nichts mehr. Sie war stolz auf ihre Position, hatte sich ihren Platz in der Hierarchie hart erkämpfen müssen.
    Am Tag nach der Hochzeit hatte ihr Schwiegervater verlangt, dass sie die Büroarbeit übernahm. Und er ließ nichts gelten. «Was heißt hier, ich kann das nicht? Du hast doch Augen im Kopf! Schau in die Bücher, dann lernst du’s. Oder hast du gedacht, du kannst hier auf dem faulen Hintern sitzen?»
    Es war nie ihre Art gewesen, auf dem faulen Hintern zu sitzen. Das sagte sie auch. Und der Alte
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