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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret
Autoren: Emile Zola
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wie angefüllt von wohlig erwärmter Menge.
    Von draußen vernahm man die leisen Geräusche fröhlichen
Erwachens rings im Land, lustvolles Säuseln der Gräser, Tautropfen,
die von den Blättern fielen, Vögel, die ihr Gefieder glätteten und
zu ersten Flügen sich bereiteten. Selbst die Scholle schien mit der
Sonne eindringen zu wollen: eine mächtige Eberesche hob sich und
zwängte ihr Geäst durch die zerborstenen Scheiben, reckte ihre
Knospen vor, als ob sie hineinschauen wollte; und das Gras des
Vorplatzes machte Miene, durch die Ritzen der großen Türe
einzudringen. Einzig die große Christusfigur blieb beschattet
inmitten dieser immer höher anflutenden Lebenswoge, und trug Tod
und Todesmühen seines ockerbeschmierten, blutlackbespritzten Leibes
hinein. Ein Sperling ließ sich am Rande einer der ausgebrochenen
Scheiben nieder, sah sich um und flog davon; kam aber fast umgehend
wieder zurück und ließ sich stillen Fluges zwischen den Bänken vor
dem Altare der Jungfrau nieder. Ein zweiter Sperling folgte. Bald
drangen von allen Zweigen der Eberesche Sperlinge ein und
spazierten friedlich, hüpfenden Ganges, über den Steinboden.
    »
Sanctus, sanctus, sanctus, dominus, deus, sabaoth

sagte der Priester mit halber Stimme und beugte sich leicht nach
vorn.
    Vinzenz ließ das Glöckchen dreimal tönen. Die
Sperlinge aber, von dem plötzlichen Klingeln erschreckt, entflogen
mit einem derartig lauten Geflatter, daß die Teusin schimpfend aus
der Sakristei zurückkam, wohin sie sich gerade begeben hatte.
    »Die Landstreicher! Alles werden sie versudeln … Ich könnte
wetten, Fräulein Desiderata hat ihnen wieder Brotkrumen
gestreut.«
    Der inhaltsschwere Augenblick rückte näher. Leib und Blut eines
Gottes sollten sich auf dem Altar vergegenwärtigen. Der Priester
küßte das Tuch, faltete die Hände, und schlug ein über das andere
Mal das Kreuz über Hostie und Kelch. Die kanonischen Gebete
entrangen sich immer inniger seinen Lippen, verzückt, demütig und
dankbar. Seine Haltung und Bewegung, die Schwankungen seiner Stimme
drückten aus, wie nichtig er sich vorkam, welche Rührung er darüber
empfand, zu so Großem ausersehen zu sein. Vinzenz kniete hinter
ihm; er faßte das Meßgewand mit der linken Hand, unterstützte es
leicht und bereitete sich zum Klingeln. Und er, die Ellenbogen auf
den Altarrand gestützt, hielt die Hostie zwischen Daumen und
Zeigefinger beider Hände und sprach über sie die Worte der Weihe:
»
Hoc est enim corpus meum
.« Dann, nach einer Kniebeuge,
hob er sie langsam in die Höhe, so hoch er vermochte, den Blick
fest auf sie gerichtet, dieweil der Ministrant sich zu Boden warf
und dreimal läutete. Hierauf weihte er den Wein: »
Hic est enim
calix
,« die Ellenbogen neuerdings auf dem Altar, sich vor dem
Kelch neigend und ihn erhebend, nun diesem mit den Augen folgend,
mit der Rechten den Knauf umpressend, mit der Linken den Fuß
haltend. Der Ministrant gab drei letzte Klingelzeichen. Das große Mysterium der Erlösung hatte
sich erneuert, das anbetungswürdige Blut war aufs neue
geflossen.
    »Wartet nur, wartet,« schalt die Teuse und versuchte, mit
drohend geballten Fäusten den Sperlingen Angst zu machen. Mit der
Angst der Spatzen aber war es vorbei, mitten beim schönsten
Geklingel waren sie zurückgekommen und flatterten frech über die
Bänke hin. Das wiederholte Schellen trug sogar zu ihrer Belustigung
bei. Sie antworteten mit kleinen Schreien, die die lateinischen
Worte gleich perlendem Gelächter freier Gassenbuben übertönten. Die
Sonne wärmte ihre Federn, die liebe Armseligkeit der Kirche
entzückte sie. Sie fühlten sich hier zu Hause wie in einer Scheune,
deren Luke man zu schließen vergessen hatte, kreischten, prügelten
sich und balgten sich um aufgefundene Körner. Einer wippte auf dem
goldenen Schleier der lächelnden Jungfrau; ein anderer streifte
neugierig die Röcke der Teusin, die außer sich geriet über diese
Unverfrorenheit. Der in Andacht aufgelöste Priester am Altar
bestarrte die Hostie, die er zwischen Daumen und Zeigefingern
hielt, nahm nichts wahr von der unaufhaltsam ins Kirchenschiff
einflutenden lauen Maifrühe, von den Vögeln, dem Laubgrün und den
höher wogenden Sonnenströmen, die bis zu den Füßen des
Kalvarienberges kreisten, wo die fluchbeladene Natur sich im
Todeskampf wand.
    »
Per omnia saccula saeculorum
,« sprach er.
    »
Amen
,« fiel Vinzenz ein.
    Nach beendetem Vaterunser brach der Priester die Hostie über dem
Kelch in der
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