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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret
Autoren: Emile Zola
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Täfelung, war zitronengelb gestrichen. Der kleinen
Pforte gegenüber stand das Taufbecken, ein alter Weihwasserbehälter
auf gemauertem Unterbau. Weiterhin zur Rechten und zur Linken, nach
der Mitte zu, klebten zwei magere Altäre, von Holzbalustraden
umgeben. Der heiligen Jungfrau war der linke zugeeignet, hier stand
eine Mutter Gottes aus vergoldetem Gips, die königlich über
kastanienbraunen Haaren eine geschlossene Goldkrone trug; auf dem
linken Arm saß ihr ein Jesusknabe, nackt und lächelnd, dessen
kleine Hand die bestirnte Weltkugel hochhielt. Sie wandelte auf
Wolken, geflügelte Engelsköpfe zu Füßen. Der rechte Altar, wo die
Totenmessen gelesen wurden, war mit einem
Christus aus bunter Papiermasse bestanden, der das Gegenstück zur
Jungfrau Maria bildete. Die Christusfigur, von der Größe eines
zehnjährigen Kindes, schien in schauerlichem Todeskampf erstarrt,
das Haupt bog sich zurück, die Rippen traten heraus, der Bauch war
eingefallen, die Gliedmaßen verzogen und blutbespritzt. Da war noch
die Kanzel, ein viereckiger Kasten, den man auf einer fünfstufigen
Trittleiter bestieg, gegenüber einer in einem Gehäuse aus
Nußbaumholz eingeschlossenen Gewichtuhr, deren dumpfes Ticken die
ganze Kirche erschütterte, wie das Klopfen eines unter den
Steinplatten irgendwo verborgenen Riesenherzens. Das ganze Schiff
entlang befleckten die scharfe Weiße der Mauern die vierzehn
Stationen des Kreuzweges, vierzehn rohbemalte Schildereien, in
Schwarz gefaßt, mit dem Gelb, Blau und Rot der
Leidensgeschichte.
    »
Deo gratias
,« blökte Vinzenz am Ende der Epistel.
    Das Liebesmysterium, die Abschlachtung des heiligen Opfertieres,
bereitete sich vor. Der Ministrant nahm das Meßbuch, trug es nach
links zur Evangelienseite, und trug dabei Sorge, die Blätter des
Buches nicht zu berühren. Jedesmal, wenn er am Allerheiligsten
vorüberkam, machte er eine schräge Kniebeugung, die ihn ganz krumm
zog. Wieder rechts angelangt, blieb er mit gekreuzten Armen stehen,
während des Ablesens des Evangeliums. Der Priester schlug ein Kreuz
über dem Meßbuch und bekreuzte sich dann selbst: an der Stirn, um
zu bestätigen, daß er sich niemals schämen würde des göttlichen
Wortes; auf den Mund, um zu bestätigen, wie er ständig bereit sei,
seinen Glauben zu bekennen; über dem Herzen, um darzutun, sein Herz
sei einzig Gott zugewandt!
    »
Dominus vobiscum
,« sagte er, sich
in Versunkenheit zu der kalten Weiße der Kirche wendend.
    »
Et cum spiritu tuo
,« antwortete Vinzenz, der wieder
hingekniet war. Nach dem Sprechen des Offertoriums enthüllte der
Priester den Kelch. In Brusthöhe hielt er kurz die Patena mit der
Hostie, die er Gott darbrachte, für sich, für die Gegenwärtigen,
für alle Gläubigen unter Lebendigen und Toten. Hierauf ließ er sie
bis zum Rande des geweihten Tuches gleiten, ohne sie anzurühren,
und nahm dann den Kelch, den er sorgfältig mit dem
Reinigungstüchlein säuberte. Vinzenz war zur Kredenz gegangen, um
die Krüge zu holen, die er nacheinander bot, erst den Krug mit
Wein, dann den Krug mit Wasser. Jetzt brachte der Priester für die
ganze Welt den halbgefüllten Kelch dar, den er in die Mitte des
geweihten Tuches zurückstellte, wo er ihn mit dem Kelchdeckel
verschloß. Und nach erneutem Gebet trat er zurück, um sich Wasser
in dünnem Geriesel über das Äußerste von Daumen und Zeigefinger
gießen zu lassen, sich dieserart von jeder Sündfleckigkeit
reinigend. Als er sich die Hände an dem Reinigungstuch getrocknet
hatte, entleerte die wartende Teusin die Kannenschale seitlich vom
Altar in einen Zinkeimer.
    »
Orate, fratres
,« hob der Priester mit lauter Stimme
wieder an, den leeren Bänken zugekehrt, die Hände ausstreckend und
wieder faltend, in einer Menschen, die guten Willens sind,
sammelnden Bewegung. Und sich zum Altar wendend, murmelte er mit
leiser Stimme weiter. Vinzenz plärrte einen langen lateinischen
Satz und verwirrte sich in ihm. Da begann es gelb durch die Fenster
zu flammen. Die Sonne folgte dem Rufe des Priesters zur Messe.
Schon zog sie goldene Bänder über die Wand zur Linken, den Beichtstuhl, den Altar der Jungfrau und die große
Uhr. Durch den Beichtstuhl ging ein Knacken; die Gottesmutter in
einer Gloriole, in Krone und goldenem Mantel schimmernd, lächelte
mit bemalten Lippen zärtlich das Jesuskind an; die warm bestrahlte
Uhr begann schneller zu ticken. Es war, als ob die Bänke belebt
würden vom tanzenden Sonnenstaub. Die kleine Kirche, der geweißte
Stall, war
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