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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel
Autoren: Charlotte Link
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Telefon gesessen haben, denn er nahm nach dem ersten Klingeln ab. »Janet! Ich dachte, du meldest dich mal zwischendurch! Bist du schon in Edinburgh?«
    »Nein. Phillip, ich bin in Maidstone. In Kent.«
    Schweigen. Dann fragte er verwirrt: »Was?«
    »Ich habe mir einen Wagen gemietet und bin ein wenig in der Gegend herumgefahren. Dabei habe ich die Zeit vergessen.«
    »Das gibt’s doch nicht! Wie willst du denn jetzt rechtzeitig nach Schottland kommen? Du hast morgen früh um neun diesen Termin bei Mr.... Mr....«
    »Mr. Grant.«
    »Ja, Mr. Grant. Du weißt doch, wie schwer es war, dies alles zu organisieren! Janet, dieser Mann ist weiß Gott nicht angewiesen auf uns, vielleicht empfängt er dich zu einem anderen Termin gar nicht mehr... Himmel, was machen wir denn jetzt?« Er schien völlig aufgelöst. Janet warf Geld nach. Sein Entsetzen tat ihr weh. Es zeigte wieder einmal, auf welch verschiedenen Positionen sie beide standen, wie unvereinbar das war, was jeder von ihnen wollte.
    »Ich konnte es nicht, Phillip«, sagte sie leise.
    Aus Hamburg kam ein tiefer Seufzer. »Du hast die Maschine absichtlich versäumt, ja?«
    Sie schwieg. Phillip klang verzweifelt. »Was sollen wir jetzt tun? Wir hatten doch alles besprochen! Janet, es gibt keinen anderen Ausweg. Das hattest du doch zum Schluß eingesehen!«
    »Nein, das hatte ich nicht. Ich habe nachgegeben, weil du mich immer mehr unter Druck gesetzt hast.«
    »Janet, Maximilian kann nicht zu uns zurückkommen!
Es geht einfach nicht. Wir können diese Verantwortung nicht übernehmen, und...«
    Das Telefon hatte schon zweimal eindringlich gepiept, jetzt riß die Verbindung ab. Janet hätte Geld nachwerfen können, aber sie mochte nicht. Phillip würde daheim wie ein Tiger im Zimmer hin- und hergehen und verzweifelt hoffen, daß sie erneut anriefe, und sie spürte einen Moment lang das Aufkeimen eines schlechten Gewissens, weil sie ihn in dieser aufgewühlten Verfassung hängenließ. Aber dann dachte sie trotzig, daß er es nicht anders verdient hatte. Er hatte so lange lamentiert und gestritten, bis sie nachgab; das Risiko, daß sie es sich anders überlegen könnte, wäre sie ihm erst entkommen, hätte er einkalkulieren müssen. Dann wäre er jetzt nicht aus allen Wolken gefallen.
    Janet machte eine rasche Bewegung mit den Schultern, als schüttle sie eine Last ab. Dann warf sie das restliche Geld ein und wählte die Nummer von Andrew.
     
     
    Phillip stand tatsächlich wie angewurzelt vor dem Telefon und wartete, daß Janet noch einmal anrufen würde. Als nach einer halben Stunde noch immer kein Klingeln ertönt war, gab er auf und ging in die Küche, nahm den Weißwein aus dem Kühlschrank und schenkte sich ein Glas ein. Entweder hatte sie kein Kleingeld mehr, oder - was wahrscheinlicher war - sie mochte sich nicht auseinandersetzen und entzog sich auf diese Weise einer Diskussion. Typisch Janet. So hatte sie es immer gemacht. Wenn die Probleme überhand nahmen, ergriff sie die Flucht, entweder ganz buchstäblich, indem sie verschwand und nicht auffindbar war, oder sie zog sich in irgendeine mysteriöse Krankheit zurück, bei der sie tatsächlich heftige Schmerzen und hohes Fieber produzierte.
    »Du bist ein ewiges kleines Mädchen!« hatte Phillip sie
einmal angebrüllt. »Du wartest, daß irgend jemand oder irgend etwas kommt und dich beschützt. Anstatt selber aufzustehen und die Dinge in die Hand zu nehmen!«
    Er hätte wissen müssen, daß sie auch diesmal ausbrechen würde.
    Müde und ausgelaugt blieb er am Küchentisch sitzen, leerte ein zweites Glas Wein und lauschte auf das zarte Rauschen, mit dem es draußen zu regnen begann. Erst als er hörte, wie leise die Haustür aufgeschlossen wurde, hob er den Kopf.
    »Du mußt nicht schleichen!« rief er. »Ich bin wach!«
    Mario, sein vierundzwanzigjähriger Sohn, kam in die Küche. Seine dunklen Haare waren naß vom Regen, er hielt einen tropfenden Strauß Flieder in der Hand und blickte etwas unsicher drein.
    »Du wartest auf mich?« fragte er. »Ich habe Blumen gepflückt.«
    Phillip sah ihn etwas verwundert an. Es war Nacht, und es regnete. »Du hast Blumen gepflückt?«
    »Ich... war nicht allein.« Mario nahm eine Vase aus dem Küchenschrank, füllte sie mit Wasser und ordnete die Zweige. Er wirkte schuldbewußt, was Phillip nicht recht verstand. Er hatte also ein Mädchen kennengelerntund sich offenbar verliebt. Nur in verliebtem Zustand pflückte man nachts im Regen Blumen. Es wurde höchste Zeit, daß er
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