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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel
Autoren: Charlotte Link
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geheilt war, auch wenn die Ärzte das glaubten, und du...«
    »Ich wußte, daß er nicht geheilt sein konnte.« Sie sah ihn ernst und ruhig an. »Begreif doch, er konnte es nicht sein. Denn siehst du, er war schon sehr lange nicht mehr in der Klinik... seit vielen Jahren nicht mehr.« Sie drehte sich um und ging langsam davon.

    »Wir können sie nicht beschützen«, sagte Michael, »nicht für immer. Es hat nichts mit Schuld zu tun. Ich habe mich jahrelang überschlagen, Tina in Watte zu packen und nichts Böses zu ihr dringen zu lassen, und dennoch wäre beinahe ein Unglück geschehen. Es hat eben auch etwas mit...« Es widerstrebte ihm, das Wort in den Mund zu nehmen, es war ein Wort, das er nur selten benutzte, das ihm abgegriffen und anstößig erschien. »Es hat etwas mit Schicksal zu tun«, sagte er schließlich doch.
    »Sie haben mich gewarnt. Sie haben Dana gewarnt. Aber wir hatten nur Spott übrig für Sie«, flüsterte Karen. Sie war zu erschöpft, um lauter zu sprechen. Ihre Stimme klang so rauh, als sei sie erkältet.
    »Hören Sie auf damit«, bat Michael, »welchen Sinn macht es, sich zu quälen? Niemand hätte Dana hindern können, das zu tun, was sie tun wollte. Ich nicht und Sie auch nicht, selbst wenn Sie es versucht hätten.«
    »Wenn ich es von Anfang an verboten hätte...«
    Er nahm ihre Hand und drückte sie. Ihre Finger waren eiskalt. »Bitte nicht! Ganz gleich, was Sie getan hätten, es hätte immer so kommen können. Wir können unsere Kinder nicht einsperren, nicht?«
    Es war Samstag morgen, draußen erwachte ein heller, sonniger Tag, aber die Luft, die durch das Fenster ins Zimmer flutete, war noch kühl. Karen saß mit angezogenen Beinen auf dem Sofa, zusammengekrümmt wie ein Embryo. Sie trug noch immer die gelben Kleidungsstücke vom Vortag. Das Make-up an ihren Augen hatte sich verschmiert und schwarze Ränder gebildet, was sie noch schlechter aussehen ließ, als sie es an diesem Morgen ohnehin tat. Sie hatte den ganzen Abend über geweint und geredet und wieder geweint, und irgendwann hatte sie sich von Michael völlig willenlos in ihr Schlafzimmer führen und auf dem Bett ausstrecken lassen. Er war dann
auf die Suche nach einem Schlafmittel gegangen, hatte sämtliche Schubladen und Schränke in Bad und Küche durchsucht und war schließlich auf eine Schachtel mit starken Beruhigungsmitteln gestoßen, von denen der Beipackzettel verriet, daß sie bei akuten Schlafstörungen sehr hilfreich seien. Er ließ Karen zwei Stück schlucken, was sie ohne Widerrede tat, aber als er das Zimmer verlassen wollte, richtete sie sich sofort auf. »Gehen Sie nicht weg! Bitte, gehen Sie nicht weg!«
    Er schüttelte beruhigend den Kopf. »Ich gehe ja nicht weg. Ich bin im Wohnzimmer, okay? Sie können jederzeit nach mir rufen.«
    Als er eine Stunde später noch einmal nach ihr sah, schlief sie tief. Auf ihrem Gesicht waren die schwarzgefärbten Tränenspuren getrocknet. Ihr Mund stand leicht offen, und sie sah aus wie ein kleines Kind, sehr allein und sehr verletzbar.
    Michael verbrachte die Nacht vor dem Fernseher, schaltete von einem Programm zum nächsten, konnte kaum erfassen, was er sah, war aber von einer so heftigen inneren Unruhe ergriffen, daß er es ohne die Stimmen aus dem Apparat nicht ertragen hätte. Als um halb fünf Uhr morgens das Telefon schrillte, begann sein Herz so zu rasen, daß er meinte, ein Infarkt würde ihn niederstrecken, noch ehe er den Hörer abnehmen könnte. Seine Stimme klang, als habe er einen Kloß im Hals. »Ja?« meldete er sich.
    Es war Tina. Sie schien so nah, als rufe sie aus einer Telefonzelle um die Ecke an. Aber sie sei in Nizza, im Krankenhaus, berichtete sie.
    »Im Krankenhaus? Um Gottes willen! Was ist denn passiert?«
    »Ich bin gestürzt, mein rechter Fußknöchel ist angebrochen. Aber sonst fehlt mir nichts. Janet Beerbaum hat mir
Danas Nummer gegeben und gesagt, du bist da zu erreichen. Wieso bist du denn dort? Und wieso nachts?«
    Es mußte sie in der Tat tief verwirren, ihren Vater um halb fünf Uhr morgens in der Wohnung von Karen und Dana anzutreffen. Michael wollte ihr zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nichts von Dana erzählen und wich daher aus. »Ich habe mir entsetzliche Sorgen um dich gemacht. Wir alle. Ich konnte nicht allein sein, und...« Er sprach nicht weiter, doch Tina schien diese Erklärung zu genügen. Sie sprudelte eine wirre Geschichte heraus, wobei es Michael, der ja mit einigen Fakten vertraut war, nicht verwunderte, von einem
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