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Die Sünde aber gebiert den Tod

Die Sünde aber gebiert den Tod

Titel: Die Sünde aber gebiert den Tod
Autoren: Andrea Schacht
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Symptome viel besser zu deuten als du oder ich. Nur wenn es wirklich der Aussatz ist, musst du in das Siechenhaus ziehen.«
    »Und in einem Spital voller Krüppel leben, ausgesegnet wie eine Tote, und dort langsam bei lebendigem Leib verfaulen.«
    Voller Mitleid sah Almut die Köchin an. Sie war eine große, hagere Frau, doch nun war sie durch Fieber und Angst noch mehr eingefallen und lag, knochig und mit verfilzten Haaren, auf ihrem Lager. Mit einer Hand streichelte sie geistesabwesend den warmen, schwarzen Pelz der Katze an ihrer Seite. Doch es war trotz allem inzwischen wieder ein kleiner Funken Leben in ihren Augen. Almut hoffte, er möge entstanden sein, weil sie endlich ihre entsetzliche Angst in Worte hatte fassen können.
    »Du wirst leben, Gertrud. Und ich werde dir jetzt etwas Grütze bringen, und du isst sie. Ich weiß, sie ist ziemlich fade, wir beherrschen einfach nicht deine Kunst, sogar einfachen Haferbrei schmackhaft zu machen. Aber er sättigt und wärmt.«
    »Man kann sich nicht gegen dich wehren.« »Manchmal nicht.«
    Ein winziges Lächeln huschte über das graue Gesicht der Köchin. »O ihr Ärmsten, sogar Weihnachten Grütze und noch mal Grütze!«
    »Ich hoffe doch nicht! Morgen suche ich die Freundin der Köchin meiner Mutter auf, die hier in Köln zu Besuch ist. Sie hat einen guten Ruf als Leihköchin und wird uns sicher aushelfen, bis wir wissen, wie es mit dir weitergeht.«
    »Eine Fremde in meiner Küche!«
    »Notgedrungen! Sie wird nicht auf dem Hof backen und kochen können.«
    »Ist ja auch egal, nicht wahr?«
    »Ist es.«
    Gertrud schwieg ein paar Augenblicke lang, während Almut den Docht des Lämpchens richtete und die Decken zurechtzog.
    »Danke, Almut. Danke, dass du ehrlich zu mir bist. Jemanden, der mir jetzt falsche Hoffnungen macht, könnte ich nicht ertragen.«
    Almut nickte und verließ den Raum, um die versprochene Schüssel mit Grütze zu holen. Als sie zurückkam, war Gertruds Miene entspannter als zuvor. Die Hustenarznei, die eine reichliche Dosis Mohnsaft enthielt, begann ihre Wirkung zu zeigen. Kaum hatte sie den klebrigen Grützebrei ausgelöffelt, sank sie mit schläfrigen Lidern in die Decken zurück.
    »Bete für mich, Almut.«
    »Natürlich, Gertrud. Schlaf gut. «
    Nach der Komplet hatte Almut noch ein langes Gespräch mit der Meisterin der Beginen geführt. Magda von Stave war vor drei Jahren zum zweiten Mal zum Oberhaupt der zwölfköpfigen Gemeinschaft gewählt worden, die sie mit Umsicht und diplomatischem Geschick führte. Die beiden Frauen diskutierten lange über die Befürchtungen der Köchin und beschlossen, bis zum endgültigen Urteil über ihren Zustand den anderen gegenüber Stillschwiegen zu bewahren.
     
    Am nächsten Morgen machte sich Almut zusammen mit Elsa, der Apothekerin der Beginen, auf, um sich nach der Köchin Franziska zu erkundigen. Es war frostig kalt, und die Nacht hatte die lehmigen Wege hart frieren lassen. Raureif glitzerte an den dürren Grashalmen, und über den Dächern der Häuser stieg allenthalben dunkler Rauch auf. Es roch nach brennenden Holzscheitern und glosendem Torf. Die Beginen erreichten bald den Adler, ein Gasthaus, dem auch eine Hufschmiede angegliedert war. Er wirkte auf den ersten Blick unbewohnt, denn weder der Schornstein noch dieEsse rauchten. Es war auch kein Hämmern oder ein metallisches Klingklang zu vernehmen, Laute, die gewöhnlich anzeigten, dass der Schmied seinem Handwerk nachging.
    »Versuchen wir es in der Schenke, Elsa. Dort wird sicher jemand sein!«
    Almut stieß die feste, eisenbeschlagene Tür auf und fand ihre Vermutung bestätigt.
    Der Schmied war in der Gaststube – allerdings steckte er mit dem Oberkörper im Kamin und schimpfte, was das Zeug hielt. Eine zierliche Frau lehnte mit dem Rücken zur Theke, die Arme vor der Brust verschränkt.
    »Verdammt und bei allen Heiligen! Der letzte Sturm hat die Reste vom Storchennest hineingedrückt, kein Wunder, dass der Kamin nicht zieht. So ein Dreck! Das hat man nun davon, wenn man den Tieren ihre Behausung nicht unter den Füßen fortreißt«, tönte es undeutlich unter dem Mauerwerk hervor. Gleich darauf erklang ein kratzendes Geräusch und ein Schmerzlaut, dem eine schwarze Rußwolke folgte. Almut ließ sich neben Elsa auf einer Bank nieder und beobachtete amüsiert das Schauspiel, das sich ihnen bot. Offensichtlich war ihr Eintritt unbemerkt geblieben.
    »Ach nee, das Storchennest?«, spottete die zierliche Frau mit unverhohlener Schadenfreude.
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