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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs
Autoren: Alan Furst
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eine Mine stieß, dass es 22.05 war.
    Sie sahen es. Keine Ahnung, was für ein Schiff es war – gewesen war. Es sank am Heck, so dass der Bug steil in die Höhe ragte, während einige Besatzungsmitglieder auf einem Rettungsfloß mit den Händen im Wasser paddelten. Aus dem Funkraum: »Flieger im Anflug.«
    Sie hörten sie kommen – dieses ansteigende Dröhnen. Dann gingen die Suchscheinwerfer der Burja an, es folgten die der anderen Schiffe, helle gelbe Strahlen, die in den Himmel stachen. »Rettungsboote bereithalten«, sagte De Haan.
    Kees fluchte und humpelte Richtung Nock. Ratter packte ihn am Arm. »Lass mich das machen«, sagte er.
    »Das wirst du schön bleiben lassen.« Kees riss sich los und hinkte davon.
    De Haan rief in den Maschinenraum hinunter. »Stas, wir halten die Rettungsboote bereit. Da kommt vielleicht ein Luftangriff.« Kovacz hatte normalerweise das Kommando auf dem zweiten Boot.
    »Der Kessel Nummer drei macht Probleme«, sagte Kovacz. Der Wettlauf nach Liepaja, dachte De Haan, hatte sie also eingeholt.
    »Es geht nicht ohne dich, Stas.« Bei so vielen Passagieren an Deck würde es Panik, Chaos geben.
    Kovacz murrte und sagte dann, er sei in einer Minute an Deck.
    Falscher Alarm? Draußen auf der Nock bediente ein Matrose den Scheinwerfer der Noordendam, indem er ihn ein ums andere Mal über den leeren Himmel schwenkte. Ratter horchte – den Kopf wie ein Hund zur Seite gelegt – angestrengt auf das ferne Dröhnen. »Kreisen die über uns?«
    De Haan lauschte. Scheldt sagte: »Das war's.«
    Um 22.20 Uhr sagte Ratter: »Sie sind an uns vorbei.«
    »Um Kronstadt zu bombardieren«, vermutete De Haan.
    »Oder Leningrad.«
    Die anderen hörten es und richteten ihre Scheinwerfer vor die Burja aus. »Nein«, sagte De Haan. Das Geräusch schwoll östlich von ihnen an und wurde schließlich laut. Aus dem Funkraum: »Angriff steht bevor …«
    Der Staffelführer kam durch die Scheinwerfer gerast, direkt auf die Burja zu, die er dann aber überflog. Im Licht sahen sie eine Kugel an einem Fallschirm, die auf den Zerstörer herunterflog. »Dorniers«, sagte Ratter. »Fallschirmminen.«
    Hinter der ersten sieben oder acht weitere, dicht an dicht. Sowie die Explosionen an der Spitze des Konvois begannen, blitzte eine Silhouette über der Tsiklon auf, und eine Reihe Kettenminen stürzte auf ihr Deck. Ein Atemzug, dann traf ein heißer Luftschwall die Brücke, während ein zweiter Bomber im Schrägflug über die Noordendam dröhnte.
    Vom Deck waren Schreie zu hören, winzige gelbe Feuerkugeln blitzten durch das Brückenhaus, und während der Bomber davonflog, stürzte ein Schwarm Kettenminen durch die Luft. Dann explodierte ein Lukendeckel, Planken flogen in den Himmel, und ein gewaltiger Donnerschlag hallte durch den Bauch der Noordendam, so dass sie krängte und erzitterte. De Haan wurde nach hinten von den Füßen gerissen, und als er sich aufkniete, sah er, dass Ratter neben ihm saß und verwundert schien. »Kann nichts hören«, sagte er. Dann griff er De Haan an die Stirn und zog einen dreieckigen Glassplitter heraus. »Das kannst du da nicht gebrauchen, oder?«
    De Haan fühlte, wie ihm das Blut das Gesicht herunterlief. »Komm ganz gut ohne aus.«
    Ratters Gesicht glitzerte im Licht, und er fing an, mit den Fingerspitzen darüber zu streichen. Scheldt richtete sich am Kompassgehäuse auf und packte das Ruder. »Zum Teufel«, sagte er. De Haan rappelte sich hoch, schwankte, fand sein Gleichgewicht und sah, dass Scheldt auf den Kompass starrte. »Zwei acht zwei?«, fragte er.
    »Zurück auf null neun fünf, Südost«, sagte De Haan.
    Scheldt schüttelte den Kopf, zog eine der Speichen herunter, so dass das Rad sich von selbst drehte, und hielt es wieder an. »Weg«, sagte er.
    De Haan sah aus den zersprungenen Fenstern. Die Tsiklon war verschwunden, und im Licht des brennenden Trawlers sah er Rauch aus dem Vorderdeckladeraum aufsteigen, ein orangefarbener Schatten, der in der Mitte flackerte. »Johannes, fahren wir noch?«
    Ratter ging zur Nock hinaus und sah über die Seite. »Kaum.« Aus dem Funkraum: »Seid ihr da oben noch am Leben?«
    »Ja.«
    »Wir brennen.«
    »Ja.«
    Von ihrer Backbordseite ertönte ein Nebelhorn, kurz darauf ein zweites. Es war ein Eisbrecher, dessen Suchscheinwerfer über das Deck der Noordendam, strich, dann etwas auf Russisch und sehr laut über Megafon. De Haan ging auf die Nock hinaus, wo der Matrose mit offenem Mund dem sich nähernden Bug des Eisbrechers
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