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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs
Autoren: Alan Furst
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ein kleiner Frachter. Kurz nach drei Uhr morgens verloren sie den Frachter, der stehen blieb und Anker werfen musste. Die Passagiere standen schweigend an Deck und sahen zu, wie der Konvoi an ihnen vorüberzog. Eine Stunde später fing die Burja zu manövrieren an, eine lange Folge von Kursänderungen. Zu diesem Zeitpunkt war Maria Bromen bereits bei Mr. Ali im Funkraum und übersetzte die eingehenden Anweisungen. Peilung zwei sechs acht, Kurs zwei sechs zwei. Scheldt drehte das Ruder, während De Haan ihm die Direktiven weitergab. »Wir befinden uns in einem russischen Minenfeld«, sagte Ratter.
    Er hatte Recht. Wenige Minuten später beging ein Unterseetanker den Fehler, weit auszuschwenken. Er wurde in zwei Hälften gesprengt und sank sofort; nur wenige Überlebende konnten sich schwimmend vor dem brennenden Ölteppich im Wasser retten. Eins der Torpedoboote hielt an, um sie aufzunehmen, und kehrte anschließend wieder auf seine Position im Konvoi zurück. Eine Stunde nach Tagesanbruch blieb vor Pavilosta das Torpedoboot selbst liegen und trieb hilflos auf offener See, während die Besatzung versuchte, den Motor zu reparieren.
    Auf der Noordendam zeigte sich bei Tageslicht, dass es an Deck nur so von Passagieren wimmelte. Einige waren seekrank – eine Schar der Kiewer Tänzer tummelte sich an der Heckreling; einige gingen in die Kombüse, um mit dem Essen zu helfen – stapelweise Zwiebel-Margarine-Stullen für alle; und einige, die unter Schock zu stehen schienen, starrten teilnahmslos ins Leere. Es gab zwei schlimme Stürze: ein Marineinfanterist, der einen Niedergang hinunterfiel, und ein Junge, der das Deck entlanglief und auf einer Öllache ausglitt. Shtern konnte beiden helfen.
    Und ebenfalls bei Tageslicht: ein deutscher Aufklärer am Himmel. Kees verfolgte ihn mit dem Fernglas und sagte, es sei ein Focke-Wulf-Condor, ein Langstrecken-Aufklärungsbomber. Das Flugzeug kreiste über ihnen und zog seine Schleifen über dem Konvoi, der mit zehn Knoten durchs Wasser kroch.
    »Keine Eile, was?«, sagte Kees.
    »Der kommt heute Abend wieder«, sagte Ratter, »und bringt Freunde mit.«
    Bis zum Abend waren es noch Stunden. Am Vormittag des Vierundzwanzigsten hatten sie bis zehn Uhr bereits im großen Bogen die Bucht von Riga umschifft. »Wir nehmen nicht die innere Passage«, sagte De Haan, nachdem er die Anweisungen aus dem Funkraum weitergegeben hatte. Die innere Passage, zwischen der Küste von Estland und den Inseln Hiiumaa und Saaremaa , war voller Sandbänke und Untiefen, die estnische Seeleute mit Besen auf Tonnen markiert hatten, ein Gebiet, das von Kapitänen der Handelsmarine gemieden wurde. Und so wurden sie vom Offizier auf der Burja oder von der Flottenaufsicht in Tallinn nach Westen, in die offene Ostsee, geschwenkt. Bis Mittag war der Condor zurück, nur um – außer Reichweite der Flugabwehr – ihren Kurs und ihre Position festzustellen, bevor er zum Essen nach Hause flog.
    19.30 Uhr. Vor der Insel Hiiumaa, Estland.
    Maria Bremens Stimme übers Sprachrohr: »Sie sagen, ›Auf Kurs null eins fünf Grad gehen.‹« Damit kämen sie in den Finnischen Meerbusen und dann, in acht Stunden, nach Tallinn. Die ersten paar Meilen eine sichere Überfahrt, mit Luftunterstützung vom russischen Marinestützpunkt in Hangö, den die Finnen im März 1940 am Ende des russisch-finnischen Winterkriegs abgetreten hatten. Eine sichere Überfahrt und die langsame Dämmerung des hohen Nordens, wo das Licht ganz allmählich zu Dunkelblau verblasste. Inzwischen waren sie alle müde, die Besatzung wie auch die Passagiere. Als De Haan zu einer zehnminütigen Pause in die Messe hinunterging, lag der Impresario Cherschenski in sein Cape gewickelt auf der gepolsterten Bank und schnarchte vor sich hin.
    Um 21.30 Uhr waren sie vor der estnischen Insel Osmussaar. »Sie sagen, wir sollen auf fünf Knoten heruntergehen, und sie haben Minenräumer angefordert, die sich vor die Burja setzen sollen.«
    »Diesmal deutsche Minen«, sagte Kees. »Oder finnische.«
    »Von wem auch immer«, sagte Ratter, »das ist den Minen gleich.«
    Danach Schweigen. Nur das Quietschen der Derrickkräne und das Geräusch der Schiffsmotoren auf ganz langsamer Fahrt, während sie sich hinter den beiden Minenräumern einreihten. Backbord konnte De Haan den Minenleger Tsiklon sehen, und steuerbord einen Trawler, auf dessen Deck sich Schiffskisten türmten. De Haan sah ständig auf die Uhr. Und so wusste er, als das erste Schiff irgendwo vor ihnen auf
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