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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers
Autoren: Cristen Marie
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überschlugen sich die Gedanken. Der Herzog begehrte seine Tischdame. Nach allem, was Ruben eben gesehen hatte, würde er seine letzte Kupfermünze darauf wetten, dass der mächtige Herr lieber sie in seinem Bett gehabt hätte als die Herzogin. Machte dieser Umstand sie zu einer Person von Einfluss? Er musste vorsichtig agieren.
    »Wir importieren englische Wolle, die in Brügge weiterverarbeitet wird, Euer Gnaden«, fuhr er respektvoll fort. »Wir handeln auch mit Getreide und seltenen Luxusgütern. Der Getreideimport bereitet uns dabei die größten Probleme. Brügge muss gewaltige Mengen zukaufen, damit die Versorgung der Stadt gesichert ist. Die Ernte der Bauern rund um Brügge reicht nicht aus, alle hungrigen Mäuler zu stopfen.«
    »Ihr spielt auf die leidigen Schwierigkeiten mit den Hansekaufleuten an, die immer wieder versuchen, Getreide gegen Privilegien zu tauschen«, nickte der Herzog. Er hatte nicht nur die Erbin von Flandern geheiratet, er hatte sich auch über die Lage im Land informiert.
    »Der Getreidehandel ist zudem eine Quelle ständigen Streits zwischen Brügge und Gent«, antwortete Ruben.
    »Gent verteidigt seine Rechte mit allen Mitteln. Jede Ähre, jedes Korn, das unsere Stadt aus dem Norden des französischen Königreiches erreicht und auf dem Flussweg über die Leie transportiert wird, muss auf Genter Boote verladen und teuer bezahlt werden. Gent schlägt Gewinn aus Brügges Notlage. Das Genter Getreidemonopol ist ungerecht.« Ruben nutzte seine Chance. Er war mit dem Plan nach Gent gereist, die Unterstützung des Herzogs für die Abschaffung des Genter Getreidemonopols zu gewinnen. Der Graf von Flandern hatte sich bei solchen Bitten bislang taub gestellt. Aber sein Schwiegersohn war jung, ehrgeizig und verschuldet und das Getreidemonopol eine sprudelnde Goldquelle. Aus diesen Zutaten ließ sich, nach Ruben Cornelis' Meinung, eine vortreffliche Suppe kochen, die ihnen beiden schmeckte, denn wenn ihm hier ein Erfolg gelänge, müsste der Brügger Schöffenrat ihn endlich in seine Reihen aufnehmen. Ihm würden zu Hause alle Türen offen stehen, sogar die zum Kontor des Bürgermeisters von Brügge.
    Doch der Herzog war nicht bereit, Rubens hochfliegende Träume zu unterstützen.
    »Lasst Euch einen guten Rat geben, Cornelis. Erwartet nicht, dass der Vater meiner Gemahlin seine Genter vor den Kopf stößt. Ihr wisst um seine Schwierigkeiten mit dieser Stadt und ihren rebellischen Handwerkern. Er ist froh, dass im Augenblick Frieden herrscht. Aus eben diesem Grunde feiern wir hier unsere Hochzeit.«
    »Aber Brügge will nicht länger die Zeche für Gent bezahlen.«
    »Ihr führt eine kühne Sprache, mein Freund. Sprecht Ihr nur für Euch oder für Eure ganze Stadt?«
    »Ich habe keinen Sitz im Rat der Schöffen«, räumte Ruben zähneknirschend ein. »Aber so wie ich denken viele in Brügge.«
    »Keine Politik, meine Herren.« Die Herzogin unterbrach das Gespräch diplomatisch. »Dies ist ein Fest.«
    Der Herzog dankte ihr mit einem überraschten Blick für die willkommene Unterbrechung. Gleichzeitig war ihm jedoch daran gelegen, Cornelis nicht zu verärgern. Er hatte eigene Pläne mit den Männern aus Brügge.
    »Beugen wir uns dem Wunsch der Damen, lieber Cornelis. Wir werden in den nächsten Tagen noch genügend Zeit für ein angeregtes Gespräch haben. Ich werde meinen Sekretär wissen lassen, dass ich Euch morgen nach der Frühmesse erwarte.«
    »Aufrichtigsten Dank, Euer Gnaden.«
    Aimée verneigte sich stumm neben Ruben und fühlte den Blick des Herzogs auf ihrem Scheitel. Es kam ihr wie so oft vor, als läge eine Mahnung in seinem Blick, ein Besitzanspruch, der ihr Unbehagen bereitete. Sie wusste, dass sie Hofdame der Herzogin geworden war, weil er sie in seiner Nähe haben wollte. Dass er damit die treuen Dienste lohnte, die das Haus Andrieu dem Herzog von Burgund leistete, kam erst an zweiter Stelle.
    »Ich bin Euch zu tiefem Dank verpflichtet«, sagte Ruben, als er sich wenig später mit Aimée in den Reigen zum Tanz einordnete. »Euer Vater muss ein bedeutender Vasall des Herzogs gewesen sein, dass Ihr es wagen könnt, so zwanglos mit ihm zu sprechen.«
    »Die Familie Andrieu ist dem König von Frankreich seit Generationen verbunden«, antwortete Aimée. Sie verbarg den Stolz darauf. »Mein Großvater war ein Ritter Philipps des Schönen, und das Lehen von Andrieu hütet seit je die Grenzen des Königreiches in der Freigrafschaft Burgund. Die Krone von Frankreich benötigt
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