Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers
Autoren: Cristen Marie
Vom Netzwerk:
von Flandern ließ es sich etwas kosten, seine einzige Tochter mit dem Bruder des französischen Königs zu vermählen – nein, das war nicht ihr Leben. Für das Amt einer Hofdame auf Lebenszeit war sie nicht geschaffen. Der Herzog konnte es gut meinen, doch sie wollte etwas Sinnvolles tun.
    Wozu waren all die Gecken hier nutz? Sie hatten nichts anderes im Kopf als leichtfertige Vergnügungen. Sollte sie vielleicht unter ihnen einen Mann finden? Der Gedanke kam ihr gar nicht erst. Sie musste ihn außerhalb des Hofes suchen. Sowohl ihre Großmutter als auch ihr Onkel Jean-Paul hatten ihr gottlob das Recht eingeräumt, sich ihren künftigen Mann selbst auswählen zu dürfen.
    In ihre Gedanken schloss sie jetzt auch ihren Onkel ein, den sie sehr liebte und verehrte, und unwillkürlich umfasste sie mit der Rechten den Ring an ihrer linken Hand. Bis zu ihrer Abreise hatte ihre Großmutter ihn getragen. Ein besonders schöner Diamant schmückte ihn.
    »Er ist das letzte Stück eines Schatzes, den man die Sterne von Andrieu genannt hat. Er wird dich mit mir verbinden«, hatte sie gesagt und ihr den Ring an den Finger gesteckt. »Bewahre ihn sorgfältig.«
    Es war ihr zur vertrauten Geste geworden, den Stein zu berühren, wenn sie ihre Gedanken nach Andrieu schickte.
    »Ihr gestattet, dass ich an Eurer Seite Platz nehme?«
    Die Frage wurde mit solcher Selbstverständlichkeit an sie gerichtet, dass Aimée ohne Zögern nickte.
    Wie in Trance war sie im geschmückten Bankettsaal des Gravensteen an ihren Platz getreten. Erst jetzt sah sie zur Seite und blickte in zwei leuchtend blaue Augen in einem strahlenden Gesicht, gerahmt von schulterlangem Haar. Das helle Blond wies ihn als Flame aus. Er war ein Mann, der sich offensichtlich auf seine Anziehungskraft verließ. »Wer seid Ihr?«, fragte sie kühl.
    »Ruben Cornelis, Handelsherr aus Brügge, wenn Ihr erlaubt.«
    »Aus Brügge?«
    Sie lächelte, ohne zu bedenken, was sie mit ihrer spontanen Freundlichkeit bewirken könnte.
    »Setzt Euch und erzählt mir von Brügge, Herr Cornelis.« Ruben war für einen Augenblick völlig überrascht von der ungezwungenen, selbstverständlichen Art dieser so unnahbar erscheinenden Frau. Eigentlich hatte er eher mit einer Ablehnung gerechnet bei der unkonventionellen Form, mit der er sich einen Platz an ihrer Seite erzwingen wollte.
    »Ihr interessiert Euch für Brügge?«, sagte er erstaunt. »Wisst Ihr denn etwas über Brügge und vielleicht auch etwas über den Grund, warum wir eingeladen sind?«
    »Um die Hochzeit zu feiern, nehme ich an.«
    »Um sie zu finanzieren, würde es besser treffen. Bisher hatte die Gesandtschaft aus Brügge nicht einmal eine Audienz beim Herzog. Ich sollte aber vielleicht keine falschen Schlüsse ziehen, bis ich mehr weiß.«
    »Höre ich Enttäuschung aus Eurer Stimme?«
    »Vermutlich. Ein persönliches Gespräch mit dem Herzog ist das Ziel meiner Hoffnungen.«
    »Ihr wollt ihn um eine Gunst bitten?«
    »Ich will ihm ein Geschäft vorschlagen.«
    Aimée winkte dem Pagen, die Becher zu füllen, und sah Ruben so offen an, dass er den Faden verlor. Daran gewöhnt, dass er Frauen eher zum Erröten brachte, entwaffnete es ihn, dass Aimée ihm mit solcher Selbstsicherheit begegnete.
    »Vielleicht kann ich Euch später dazu verhelfen«, sagte sie ruhig. »Aber erzählt mir erst ein wenig von Brügge. Ich weiß, dass man dort an Kanälen wohnt, die sich wie Straßen durch die Stadt ziehen. Es ist schade, dass die Hochzeit in Gent stattfindet und nicht in Brügge.«
    »Die Genter sehen das anders«, sagte Ruben. »Für sie ist Gent der Mittelpunkt der Grafschaft. Nur in der Kathedrale von Gent durfte die Erbin von Flandern heiraten. Es befriedigt ihren übersteigerten Ehrgeiz.«
    »Missfällt den Herren von Brügge dieser Ehrgeiz?«
    »Es handelt sich um eine alte Rivalität. Beide Städte kämpfen um den Führungsanspruch in Flandern.«
    Aimée nippte an ihrem Wein, während rings um sie Ruhe an der Festtafel einkehrte, die in Hufeisenform fast ganz den großen Saal der Burg einnahm. Das Tischgebet des Bischofs von Cambrai hinderte sie daran, das Gespräch fortzusetzen. Erst nach den offiziellen Reden, Glückwünschen und Trinksprüchen nahm Ruben es wieder auf.
    »Ihr wisst doch einiges über Brügge. Ist es erlaubt zu fragen, woher?«
    Aimée sah keinen Grund, es zu verheimlichen.
    »Meine Großmutter hat eine lange Zeit ihrer Jugend in Brügge verbracht.«
    Ruben blieb der Mund offen stehen. Aimée hatte die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher