Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen
Autoren: Alexander Köhl
Vom Netzwerk:
auf die Tischplatte, bevor er fortfuhr. »Vor zwei Wochen ist meine Mutter gestorben. Nur wenige Stunden bevor es so weit war, hat sie eine Bemerkung gemacht, die mir keine Ruhe lässt.« Bruckner schluckte ein paarmal, dann strich er sich wieder mit den Fingern über sein schmales Bärtchen. »Wissen Sie, meine Mutter hatte Bauchspeicheldrüsenkrebs. Am Ende ging es ziemlich schnell. Doch in den Wochen davor hat sie furchtbar gelitten.«
    Das hagere, im Sessel versunkene Männchen betrachtend, fragte sich Fremden, ob er jetzt eine rührselige Leidensgeschichte zu hören bekam.
    Â»Mein Vater ist bereits im August 2005 zu Tode gekommen«, setzte Bruckner wieder an. »Und ich sage mit Absicht ›zu Tode gekommen‹ und nicht ›gestorben‹. Es geschah am See bei unserem Ferienhaus. Meine Eltern haben sich oft übers Wochenende dorthin zurückgezogen, weil sie da Ruhe fanden. Mutter bereitete gerade das Abendessen zu. Lammragout mit Rosmarinkartoffeln. Beim Anbraten des Fleischs hörte sie ein Platschen. Sie dachte, dass ein Ast, der ins Wasser gefallen war, das Geräusch verursacht hatte. Im Nachhinein machte sie sich wahnsinnige Vorwürfe, dass sie ihm vielleicht noch hätte helfen können. Zumindest hat sie das immer behauptet. Denn es war kein ins Wasser fallender Ast. Vater war auf den Planken des Bootsstegs ausgerutscht, hatte sich den Kopf angeschlagen, war in den See gestürzt und ertrank, während sie für sie beide den Tisch deckte.«
    Fremden räusperte sich. Sein Interesse an Familientragödien war noch nie besonders ausgeprägt gewesen. Doch bevor er das Wort ergreifen konnte, um Bruckner aufzuklären, dass er nicht der Detektiv war, für den dieser ihn anscheinend hielt, beugte Bruckner sich vor und legte ihm eine Hand auf den Unterarm. »Verstehen Sie nun, weshalb ich Sie aufsuche?«, flüsterte er. »Ich brauche Gewissheit, was damals tatsächlich geschah. Ich muss wissen, wie mein Vater gestorben ist. Sie haben doch schon einige knifflige Fälle gelöst … Und was das Finanzielle betrifft – da werden wir uns sicher einig.«
    Ohne ein einziges Wort zu sagen, starrte Fremden Bruckner an.
    Â»Mein Vorschlag: zehntausend Euro im Erfolgsfall. Also, wenn es Ihnen gelingt, das Schicksal meines Vaters aufzuklären. Die Hälfte gibt es als Anzahlung. Reise- und sonstige anfallende Kosten werden bei Vorlage entsprechender Quittungen extra vergütet.« Bruckner lehnte sich wieder zurück und lächelte. Mit einem Mal wirkte er erleichtert. Doch als Fremden weiterhin schwieg, sagte er: »Sie schauen so skeptisch. Bitte enttäuschen Sie mich jetzt nicht. Ich habe lange an die Unfallversion geglaubt. Zu lange. Bis meine Mutter auf dem Krankenbett diese merkwürdigen Andeutungen machte. Vater sei nicht so umgekommen, wie alle glauben. Es sei anders gewesen. Als ich nachfragte, was sie damit meine, flüsterte sie mir ins Ohr, es habe ihn jemand gestoßen.«
    Â»Und warum wenden Sie sich dann nicht an die Polizei?«
    Â»Das habe ich bereits. Aber die lehnen es ab, zu ermitteln. Für einen Straftatbestand gebe es zu wenig Hinweise. Nur die Aussage einer Frau unter dem Einfluss von Schmerzmitteln.«
    Nachdem Bruckner gegangen war, begab sich Fremden in den Keller, um Wasser in die Heiztherme zu füllen. Beim vierten Startversuch sprang das Monstrum endlich an. Wieder im Wohnzimmer, setzte er sich in einen der Polstersessel und wartete, dass die Wärme in die Heizkörper zurückkehrte. Sein Blick wanderte aus dem Fenster, zu der Gruppe Haflinger auf der hangseitigen Koppel. Sogar aus der Ferne konnte er in der kühlen Winterluft die Atemwolken der Pferde sehen.
    Es war schon eine verdammt merkwürdige Situation, in die er da hineingeschlittert war. Seit Jahren saß ihm eine immer ungeduldiger werdende Schar von Gläubigern im Nacken. Als ihn aus heiterem Himmel die Nachricht vom Tod des Onkels erreicht hatte, gefolgt von der Eröffnung, dass er in dessen Testament als Erbe des Fachwerkhauses bedacht worden war, hatte er trotz echten Bedauerns aufgeatmet und war nach Bad König aufgebrochen, um sein Erbteil in Augenschein zu nehmen. Im festen Glauben, in der ländlichen Idylle auf ein properes Anwesen zu treffen, das am Immobilienmarkt einen stattlichen Preis erzielen würde. Die komplette Fahrt über hatte er davon geträumt, schuldenfrei zu sein, und sich ausgemalt,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher