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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen
Autoren: Alexander Köhl
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dass nach Begleichung all seiner Verbindlichkeiten vielleicht sogar noch etwas an Kapital übrig bliebe, um seinem Leben eine charmante Wende zu geben. Nach der Inspektion der Bruchbude war ihm jedoch bewusst geworden, dass er, bevor er einen Verkauf auch nur in Erwägung ziehen konnte, erst einmal sanieren und entrümpeln musste. Er würde einen gehörigen Batzen Geld in die maroden vier Wände stecken müssen. Geld, das er nicht besaß und auch von keiner Bank der Welt geliehen bekäme. Ein Dilemma, für das es nun doch eine Lösung zu geben schien. Mit Hilfe der Anzahlung, die ihm der bleichhäutige Bestatter bot, würde er das Haus mit etwas Farbe aufpeppen und vielleicht zumindest so weit in Schuss bekommen können, dass es auf dem Immobilienmarkt zu offerieren war. Das Ganze hatte nur zwei winzig kleine Haken. Erstens: Wenn er so dreist war, den Vorschuss einzustreichen, würde er dem Auftrag auch in irgendeiner Weise gerecht werden müssen. Zwar war es nicht notwendig, handfeste Ergebnisse zu liefern, aber Bruckner würde sehen wollen, dass er tätig wurde und ermittelte. Fremden hatte allerdings nicht den blassesten Schimmer, wie ein echter Detektiv solch einen Fall anpacken würde. Problem Nummer zwei bestand darin, dass er auffliegen könnte. Wenn Bruckner im Lauf der »Ermittlungen« dahinterkam, dass er nicht derjenige war, für den er ihn hielt, würde er den Vorschuss von ihm zurückfordern und ihn im schlimmsten Fall sogar anzeigen.
    Er löste seinen Blick von den Pferden und schaute auf die Visitenkarte, die vor ihm auf dem Tisch lag. Mit krausgezogener Stirn las er die Adresse, unter der das Bestattungsunternehmen firmierte. Merkwürdig, dachte er, dass sich jemand aus Frankfurt ausgerechnet an einen Detektiv aus dem fernen Odenwald wendet.
    * * *
    Er trat aus dem Fahrstuhl und ging den Flur hinunter. Dabei nahm er lediglich den gedämpften Hall seiner Schritte wahr. Vor dem Zimmer mit der angelehnten Tür stellte er die Kühlbox und den Koffer mit den Utensilien ab. Ein Kribbeln durchzog ihn von Kopf bis Fuß. Mit angehaltenem Atem starrte er auf den schmalen Lichtstreifen auf dem Teppich. Noch war Zeit, umzukehren. Doch er wusste, dass Flucht keine Alternative war. Mindestens eine halbe Minute lang verharrte er im Halbdunkel. Dann packte er die beiden Gepäckstücke und trat ein.
    Nichts an der Szene wirkte ungewohnt. Sie erwartete ihn auf einem Stuhl sitzend in der Mitte des Raums. Das Kinn aristokratisch erhoben und die Hände im Schoß gefaltet. Ein goldener Ring mit einem funkelnden Edelstein zierte ihre rechte Hand. Die Vorhänge waren zugezogen, und auf dem Teppichboden schmolz ein winziger Schneerest. Letzteres wertete er als Indiz dafür, dass sie unmittelbar vor ihm eingetroffen war.
    Eine tiefe Verbeugung vollführend, begrüßte er sie mit »Guten Abend, Madame«.
    Von ihr erfolgte keine Reaktion.
    Es war warm im Zimmer. Nachdem er die Gepäckstücke in einer Ecke deponiert hatte, fächerte er sich Luft zu. Erst da registrierte er den Geruch von kaltem Zigarettenrauch, der den Raum erfüllte. Bevor er sich den Vorbereitungen widmen konnte, bat er darum, das Bad benützen zu dürfen.
    Beim Pinkeln bildeten sich Schweißtropfen auf seiner Stirn. Mit einem Streifen Toilettenpapier tupfte er sie ab. Nach dem Händewaschen streifte er sich die weißen Handschuhe über. Dann kontrollierte er im Spiegel den Zustand der Livree. Alles war so, wie es sich gehörte. Die Fliege saß mittig zwischen den Hemdkragen, und der Stoff des Fracks wies nicht den kleinsten Fleck auf. Lediglich ein blondes Haar hatte sich auf das Revers verirrt.
    Zurück im Zimmer holte er den Tisch vom Fenster. Durch den Schlitz zwischen den Vorhanghälften spähte er nach draußen. Schneeflocken fielen aus dem Himmel, und der Schein des Flutlichts beleuchtete das Terminal in der Ferne.
    Er stellte den Tisch vor ihr ab. Als Nächstes entfaltete er die Damastdecke auf der Platte und strich die Falten aus dem Stoff. Dann deckte er den Tisch mit dem Porzellanteller und dem Perlmuttbesteck ein. Auf den Teller setzte er die cremefarbene Serviette, die er bereits zu Hause zum Schwan gefaltet hatte. In der Mitte des Tischs platzierte er die Kristallvase, in die er die Rose stellte.
    Nachdem sie die Tischdekoration mit starrer Miene abgenickt hatte, öffnete er die Kühlbox. Er füllte den Boden der
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