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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden
Autoren: West Morris L.
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sich damit abfinden.«
    »Und Sie?«
    »Wir sind genauso beteiligt«, sagte Ashley langsam, »und zwar sind wir beteiligt, weil wir die Folgen der Lügen und Ungerechtigkeiten deutlicher und Öfter als Sie sehen. Wir sehen die Opfer der Hungersnot auf den Straßen, während Sie nur ein Weißbuch darüber lesen. Wir sehen Mörder und Ermordete und schicken euch die Photos von ihnen. Wir sehen, wie Kinder erschossen und Frauen vergewaltigt werden, sechs Monate bevor Sie ein Sechs-Zeilen-Memorandum über einen Grenzzwischenfall lesen. Wir sind beteiligt, täuschen Sie sich nicht. Wir sind beteiligt, weil wir in unserer krausen Art nun einmal glauben, es sei ehrenvoll, mit der Wahrheit hausieren zu gehen. Sogar Sokrates hat sich damit einen Namen gemacht.«
    »Und wurde für seine Mühe vergiftet.«
    »Das ist ein Berufsrisiko, mit dem wir uns eben abfinden müssen«, sagte Ashley. Er zuckte die Schultern und lehnte sich gegen die eiserne Balustrade. »Doch führt uns all das zu nichts. Die Lage ist denkbar einfach. Sie, das heißt Ihre Regierung, will Orgagna ins italienische Kabinett befördern. Ich will ihn ins Gefängnis bringen. Ihr Motiv ist Politik, das meine ist Wahrheit.«
    »Ist das Ihr einziges Motiv, Ashley?«
    »Nennen Sie mir noch eins!«
    Kühl und präzise kam George Harlequins Antwort:
    »Orgagnas Frau war Ihre Geliebte! Oder ist sie es noch?«

2
    Harlequins Worte trafen Richard Ashley wie ein Fausthieb. Einen Augenblick lang wollte sich der amerikanische Reporter auf ihn stürzen, ihn ins Gesicht schlagen und von der Terrasse hinunterschleudern. Statt dessen aber lehnte er sich zurück, schloß die Augen und umklammerte das Geländer der Balustrade so fest, daß das rostige Metall in seine Handflächen schnitt. Er war krank vor Wut. Sein Magen krampfte sich zusammen.
    Langsam und schmerzhaft faßte er sich wieder. Als er die Augen öffnete, stand George Harlequin noch immer vor ihm und musterte ihn mit düsteren Blicken. Endlich fand Ashley seine Stimme wieder.
    »Du kaltblütiger Schweinehund! Du miserabler Dreckfink! Mehr als zehn Jahre habe ich Rossana nicht gesehen. Ich habe sie geliebt, jawohl! Ich liebe sie noch immer. Sie war meine Geliebte, und ich hätte sie auch geheiratet. Sie selbst hat sich für Orgagna entschieden. Ich habe ihr Glück gewünscht und versucht, sie zu vergessen. Mit dieser Geschichte hat sie nicht mehr zu tun als der Mann im Mond.«
    »Als seine Frau ist sie immerhin in die Angelegenheit verwickelt.«
    »Sie ist seine Frau, nicht meine.«
    »Ich wünschte«, sagte Harlequin feierlich, »ich wünschte wirklich, ich könnte meiner Motive immer so sicher sein wie Sie. Sie können sich glücklich preisen, Ashley. Es – es tut mir leid, daß ich das gesagt habe. Ich bitte um Verzeihung.«
    Er streckte seine Hand aus. Ashley ergriff sie nicht.
    »Die können Sie für sich behalten!«
    Harlequin zuckte die Schultern.
    »Ich darf also annehmen«, fragte er, »daß Sie die Story bringen?«
    »Das dürfen Sie allerdings«, sagte Ashley entschlossen. »Ich werde sie bringen. Absatz für Absatz, einschließlich Photokopien. Ich werde beweisen, daß in den Hinterhöfen von Neapel Kinder sterben müssen, weil Vittorio Orgagna amerikanische Hilfsgelder in seine eigene Tasche gesteckt hat. Ich werde beweisen, daß es zwischen Neapel und Eboli zweihunderttausend Arbeitslose gibt, weil Orgagna und seine feinen Freunde für dieses Gebiet bestimmte amerikanische Wiederaufbau-Gelder widerrechtlich in ihre Unternehmungen im Norden gesteckt haben. Ich werde beweisen, daß amerikanisches Saatgetreide an seine Parteigenossen verkauft, anstatt an Bauern verschenkt wurde. Und daß der Mann, der diesen Schwindel bewerkstelligt hat, Vittorio Orgagna war. Ich werde die Bilanzen seiner Unternehmungen veröffentlichen und die Höhe seiner geheimen amerikanischen Bankguthaben. Und Sie können meinetwegen zum Teufel gehen – Sie und die Leute, die Sie geschickt haben.«
    »Sie spielen mit dem Feuer.«
    »Ich spiele nicht.«
    Der kleine Engländer ließ die Schultern fallen. Sein jungenhaftes Gesicht schien plötzlich grau und alt. Er wandte sich ab. Dann, als wäre ihm plötzlich ein neuer Gedanke gekommen, drehte er sich wieder zu Ashley um.
    »Lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben. Italien ist ein altes Land mit einer bewegten Geschichte. Voller Gewalttätigkeiten, Korruption, Intrigen und politischer Morde. Die Familie Orgagna ist in vielen Jahrhunderten dieser Geschichte großgeworden. Seien Sie auf
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