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Die Stunde der Zaem

Die Stunde der Zaem

Titel: Die Stunde der Zaem
Autoren: Hubert Haensel
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unmißverständlich.
    »Kommt!«
    »Wohin?« wollte Gerrek wissen.
    Die Kriegerin zeigte auf die Gondel.
    »Luscuma erwartet euch.«
    »Das Schiff?«
    »Auch das. Luscuma ist der Geist einer Wetterhexe, der in der Galionsfigur wohnt und dem Schiff seinen Namen gab.«
    Unwillkürlich hob Scida den Blick. Die Gondel war dreißig Schritt lang und bot mindestens einer 50-köpfigen Besatzung Platz. Nach Art eines wuchtigen Seeschiffs geformt, besaß sie zwar keinen Kiel, dafür aber phantastische Unterbauten mit Lagerräumen und Unterkünften. In der Takelage hingen Körbe, angefüllt mit Waffen und Ballast. Entlang der hohen Bordwand staken ebenfalls Waffen und Schilde, außerdem waren Sandsäcke befestigt und, wie Scida staunend sah, zusammengelegte Flugdrachen, die wohl als Rettungsbote Einsatz fanden oder auch für Angriff und Verteidigung gedacht waren.
    Die kunstvoll geschnitzte Galionsfigur stellte den Schädel eines Einhorns dar.
    »Wohin soll der Flug führen?« wollte Gerrek wissen.
    Die Amazone brummte etwas, das sich anhörte wie: »Frage die Zaubermutter.«
    Bevor er nachhaken konnte, machte Scida ihn auf die vermummte Gestalt aufmerksam, die an einem der Ankertaue lehnte und keinen Blick von ihnen wandte.
    »Zahda!« rief er erstaunt aus und lief los. »Ich dachte, das sei Zaems Schiff.« Niemand konnte ihn zurückhalten.
    Überraschend löste sich jedoch eine zweite Frau im regenbogenfarbenen Umhang aus dem Schatten des Ballons. Es war Zaem.
    »Du hast es eilig, an Bord zu gelangen, Mandaler.«
    »Ich - äh, ich…«, stotterte Gerrek.
    »Steig hinauf!«
    »Mir - mir wird übel vom Fliegen.«
    »Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Aber wenn du wählen willst…«
    »Wählen, was?«
    »Tod oder…«
    So schnell wie diesmal war Gerrek nie zuvor eine Strickleiter emporgeklommen. Die anderen folgten ihm, und hinter ihnen kamen fünfzig Amazonen.
    »Seht«, machte Heeva Lankohr und Scida aufmerksam, »ist das nicht Burra?«
    Der Aase folgte ihrem ausgestreckten Arm mit den Augen. Tatsächlich, im Vorschiff stand Burra und blickte aufs Meer hinaus. Und neben ihr…
    »Das sind Dudun, Gorma und Tertish«, stellte Scida fest. »Was hat das alles zu bedeuten?«
    Von Deck gesehen, wirkte die Gondel noch geräumiger. Niemand zweifelte mehr daran, daß es auf eine wirklich lange Reise gehen sollte.
    Gorgan?
    Die Frage blieb unbeantwortet.
    Endlich erschienen die beiden Zaubermütter zwischen den Aufbauten. Es war ungewöhnlich, sie Seite an Seite zu sehen.
    »Willkommen an Bord der Luscuma«, sagte Zaem mit lauter Stimme, daß alle es hören konnten. Unverkennbar war der Spott, der ihren Worten anhing, und der sicherlich nicht den Kriegerinnen galt.
    Gemessenen Schrittes ging Zaem nach mittschiffs, wo sie ein Tuch von einem kastenförmigen Gestell entfernte. Zum Vorschein kam ein bauchiges Gefäß mit drei Hälsen. Es war nur drei Handspannen hoch.
    »Eine Hermexe«, stöhnte Lankohr. Ob es jene war, die Zirri auf Hanquon an sich genommen hatte? Er zweifelte nicht daran.
    Irgendwo in einem der hintersten Winkel seiner Gedanken erkannte er bereits die Wahrheit. Aber er weigerte sich, sie anzuerkennen.
    »Ihr werdet euch fragen, was aus eurem Schützling geworden ist«, eröffnete Zaem, »aus jenem Mann, der von Gorgan zu uns kam und behauptet, er sei der Sohn des Kometen.« Als keiner etwas sagte, fuhr sie barsch fort: »Ich habe euch, auch Burra und deren Begleiterinnen, für eine besondere Aufgabe ausersehen, weil ihr alle Interesse an Mythor zeigtet. Hier, in dieser Hermexe, ist er eingeschlossen - zusammen mit Fronja, dem Deddeth, der sie bedrohte, und Dämonen ohne Zahl.« Ihr Triumph war vollkommen. Jeder konnte spüren, daß sie ihr Ziel erreicht hatte, sich der Tochter und des Sohnes des Kometen zu entledigen. Aber damit gab sie sich noch nicht zufrieden. Sie wollte mehr, wollte ihren Sieg auskosten bis zur Neige und gleichzeitig Mythors Freunde demütigen. »Mit der Luscuma sollt ihr in die Schattenzone fliegen und dort die Hermexe über Bord werfen. Was immer dann geschieht, die Dämonen, die jetzt Fronja bedrängen, werden jedenfalls nicht in Vanga entfleuchen.«
    »Damit überantwortest du Mythor und unsere Erste Frau dem sicheren Verderben«, begehrte Scida auf. »Die meisten Zaubermütter werden dem nicht zustimmen.«
    Zaem vollführte eine unwirsche Bewegung.
    »Sie haben es bereits getan, weil es keinen anderen Ausweg gibt. Meinst du, Zahda stünde an meiner Seite, wenn dem nicht so
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