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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen
Autoren: Harry Thürk
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stattfand. Sie feierten ihn. Es waren die, von denen alle Soldaten gefeiert wurden, die auf Urlaub kamen. Die Rentner aus dem ersten Krieg, die zwei Leute vom Luftschutz, die Weiber von der NSV und eine, deren Mann verschollen war.
    „Erzählen Sie mir, wie es da draußen zugeht...", bat sie Timm.
    Er hatte etwas getrunken, aber er sah, daß die Frau buschige, schwarze Augenbrauen über sehr dunklen, großen Augen hatte.
    „Sie wohnen wohl noch nicht lange in dieser Gegend?" erkundigte er sich. Um ihn herum tranken die anderen das dünne Bier und rauchten von den Zigaretten, die er auf den Tisch gelegt hatte.
    „Ich wohne seit zwei Jahren hier", sagte die Frau. Sie sagte es nicht sehr laut Und noch etwas leiser sagte sie: „Ich habe eine sehr nette kleine Wohnung. Viel zu nett für mich allein."
    Timm sah die Wohnung zwei Stunden später. Die Frau hatte nicht übertrieben. Sie knipste eine Stehlampe hinter der Couch an und stellte ein paar Gläser und eine Flasche Kognak hin.
    „Stürze dich nicht in Ausgaben", sagte Timm grinsend. Die Frau trug einen Morgenrock. Timm sah, daß sie lange, schlanke, gut geformte Beine hatte.
    „Ich habe nicht oft Besuch", sagte die Frau. Sie goß ein und erhob das Glas: „Auf unsere Bekanntschaft!"
    Timm prostete ihr zu. Er überlegte, wie lange er noch Urlaub hatte. Dann sagte er zu der Frau: „Wenn du einverstanden bist, können wir noch genau elf Abende miteinander trinken."
    Die Frau stutzte einen Augenblick. Dann lachte sie leise. Sie verstand. Aus dem Morgenrock schob sie ihr Knie. Sie trug sehr dünne, teure Strümpfe. „Und deine Frau?" fragte sie lächelnd.
    „Meine Frau?" sagte Timm. „Sie bezieht meine Löhnung."
    Die Frau kochte Kaffee. Es war außerordentlich guter Kaffee, und Timm wunderte sich, woher sie ihn hatte. Aber sie lächelte nur zur Antwort.
    „Bist du schon lange allein?" erkundigte sich Timm.
    „Sagen wir, ich bin öfters allein", gab die Frau zurück,
    „Oh ...", machte Timm, „das ändert den Stoff nicht. Nur die Farbe."
    Die Frau war unruhig. Sie hatte schon zu lange gesessen und getrunken. Sie erhob sich. An den Knöpfen des Radios drehend, fragte sie über die Schulter: „Mußt du nach Hause, oder kannst du dir erlauben fortzubleiben?"
    „Ich habe noch nie eine Einladung ausgeschlagen", sagte Timm. Er band den Schlips auf und brannte eine Zigarette an. Er sah gut aus in der nach Maß
    geschneiderten Uniform. Er hatte auch hier, in dem Sessel, noch etwas von der Elastizität, mit der er über die Steine Kretas gesprungen war, von der Gewandtheit, mit der er sich aus der Maschine schwang. Das Hemd spannte über der Brust. Er war sehr glatt rasiert heute.
    „Dann werde ich nämlich jetzt die Haustür abschließen gehen", sagte die Frau. Sie erhob sich aus der knienden Stellung vor dem Radio. „Ich bin diese Woche dafür verantwortlich."
    Sie ging. Aber sie kam noch einmal zurück und gab Timm einen Bademantel. „Mach es dir bequem. Diese Uniformen sind eine scheußliche Erfindung."
    „Ist er von deinem Mann?" fragte Timm.
    Sie ging aus dem Zimmer. An der Tür sagte sie: „Wenn du dich ein bißchen frisch machen willst — im Bad ist eine Brause."
    Zu Hause lag er an den Vormittagen im Bett und schlief einen schweren, traumlosen Schlaf. Manchmal hockte sich seine Frau neben ihn auf die Bettkante und sah ihn mit einem traurigen, nachdenklichen Blick an. Sie ging stets fort, wenn er erwachte. Sie bereitete Essen für ihn und brachte seine Wäsche in Ordnung. Sie war eine schmale, reizlose Frau. Einmal war sie ansehnlich gewesen, aber das lag lange zurück. Sie schlich um Timm herum und sah ihm selten in die Augen. Es war ihm unbehaglich, längere Zeit mit ihr allein zu sein, und er brachte oft tagsüber Freunde mit. Dann spielten sie Skat oder tranken. Aber gegen Abend kleidete sich Timm sorgfältig und ging aus.
    „Klaus", sagte die Frau eines Abends, als er wieder fortging, „die Leute reden schon. Es ist mir ja egal, aber vielleicht solltest du lieber..."
    „Jesus Maria ...", sagte Timm. „Wozu habe ich dich bloß geheiratet? Dafür, daß du mir erzählst, was die Leute reden, oder wofür sonst?"
    „Ich dachte nur...", wandte die Frau schüchtern ein. Sie war geduckt, zaghaft. Sie war das kraftlose Überbleibsel einer Frau, die zehn Jahre mit Klaus Timm verheiratet war.
    „Laß die Pferde denken", sagte Timm gleichmütig, „du weißt, daß sie größere Köpfe haben als du. . ."
    Als es bekannt wurde, daß die Truppe nach der
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