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Die Stunde Der Toechter

Titel: Die Stunde Der Toechter
Autoren: Michael Herzig
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Buben waren Zwillinge. Zwei Wildfänge mit einem leichten Rotstich in ihrem dunklen Kraushaar. Sie hatten drei Schwestern. Die älteste ging in die Schule. Die Kapverden verfügten über ein ausgebautes Bildungswesen. Ein Überbleibsel der sozialistischen Vergangenheit. Stämpfli hatte Filomenas Tochter trotzdem in ein privates englisches College geschickt.
    Seine Witwe parkierte ihren riesigen Geländewagen direkt vor dem Eingang der Schule. Im Parkverbot. Danach stieg sie aus und schäkerte mit dem Polizisten, der das Manöver beobachtet hatte. Auf dem Rücksitz blätterte Johanna in einem Kinderbuch. Die Buben links von ihr, die Mädchen rechts.
    Unter dem Torbogen der Schule drängte eine Kinderschar in blau-weißen Uniformen auf die Straße hinaus. Hinter Filomenas Wagen stauten sich die Autos der anderen Eltern. Nach einigen Minuten babylonischen Sprachgewirrs, Kindergeschreis und Autohupens war die Rasselbande schließlich auf die wartenden Autos verteilt.
    Filomena setzte ihre Tochter auf den Beifahrersitz. Sofort riss sich die Kleine die Schuluniform vom Leib. Johanna reichte ihr ein gelbes Sommerröckchen und Flip-Flops über die Lehne. Freudestrahlend dankte das Mädchen. Ihre Mutter stieg ein und ließ den Motor aufheulen. Dann winkte sie dem Polizeibeamten und gab Gas.
    Sie fuhren aus der Stadt hinaus. Als sie die letzten Häuser hinter sich gelassen hatten, bogen sie in einen Kiesweg ein. Über Stock und Stein ging es einen Hang hinauf. Ab und zu überholten sie Bauern mit schwer beladenen Eseln. In gelben Kanistern buckelten sie Trinkwasser den Berg hinauf zu ihren Hütten. Ziegen kletterten baumlose Hänge empor. Auf der Passhöhe lag ein staubiges Fußballfeld. Nachdem sie es passiert hatten, ging es in engen Kurven hinunter zum Meer.
    Filomena hielt in einer kleinen Bucht. Die beiden Frauen stiegen aus und ließen die Kinder aus dem Auto. Sie rannten blitzartig ins Wasser. Filomena und Johanna trugen Kühlboxen und Decken an den Strand. Danach zogen sie ihre Badeanzüge an. Johanna ihr Badekleid, Stämpflis Witwe einen winzigen Bikini. Damit hätte sie am Oberen Letten abgeräumt.
    Dann liefen sie ebenfalls ins Wasser. Eine Weile tollten sie mit den Kindern herum. Als diese hungrig wurden, gingen sie an den Strand zurück. Während Filomena die Raubtiere fütterte, holte Johanna Schnorchel und Flossen aus dem Wagen. Anschließend schwamm sie in die Fluten hinaus. Das Meer war belebter als ein Aquarium. Sie sah Fische in allen Größen und Farben. Am liebsten hätte sie sich Kiemen und Schwimmhäute wachsen lassen und wäre in den Tiefen des Ozeans verschwunden.
    Nebeneinander und in Schlafsäcke eingekuschelt lagen die Kinder im Auto. Filomena erzählte ihnen eine Gute-Nacht-Geschichte. Johanna saß am Strand und beobachtete, wie sich der Himmel verfärbte.
    Stämpflis Witwe trug ihr Erbe nicht als Bürde. Bernhard hatte ihr seinen Besitz überschrieben. Als ob er seinen Tod vorausgeahnt hätte. Dazu gehörten das Restaurant, eine Villa in Mindelo, eine Motorjacht, Wertpapieranlagen sowie zahlreiche Grundstücke auf verschiedenen der fünfzehn Kapverdischen Inseln. Der Tourismus lief gerade erst so richtig an. In den nächsten Jahren würde die Nachfrage nach Bauland steigen. Darum plante Filomena, mehr Land zu erwerben. Dafür wollte sie die Jacht verkaufen. »Ich spiele lieber mit den Männern als mit ihren Spielzeugen«, war ihre Begründung gewesen.
    »Das ist ein guter Platz, Giovanna.« Filomena setzte sich neben Johanna auf die Decke. »Vielleicht besuchen uns diese Nacht Schildkröten. Sie kriechen aus dem Wasser, um Eier in den Sand zu legen.« Einen Moment starrten sie gemeinsam aufs Meer hinaus. »Und um einsame Mädchen zu trösten.«
    Der Kellner brachte einen weiteren Grogue. Johanna dankte es ihm mit einer Zigarette. Einen Moment lang setzte er sich zu ihr. Sie hatte lange keinen Menschen mehr getroffen, der eine solche Ruhe ausstrahlte wie er. Das Café Mindelo lag zwei Türen neben Filomenas Restaurant. Hier verbrachte Johanna einen guten Teil ihrer Tage. Wenn sie nicht baden ging oder mit dem Motorrad auf schmalen Bergstraßen Staub aufwirbelte.
    Mit dem Kellner sprach sie französisch. Jeden Tag eine halbe Zigarette lang. Manchmal ein ganze. Je nach Betrieb. Er war groß, schlank, ungefähr in ihrem Alter. Johanna hatte keine Ahnung, wo er die Sprache gelernt hatte. Sie redeten nicht über persönliche Dinge. Es war wunderbar.
    Als neue Gäste eintraten, stand er auf. Es war ein
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