Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die stummen Götter

Die stummen Götter

Titel: Die stummen Götter
Autoren: Arne Sjöberg
Vom Netzwerk:
Blick auf mich hin. Dann sagte er mühsam: „Vielleicht wirst du mir Engstirnigkeit vorwerfen, uns allen, Castor und Parthus und der ganzen Leitung – glaub mir, es war keine Engstirnigkeit. Du wirst mir vorwerfen, daß wir zu faul waren, richtig nachzudenken, und daß wir eine Welt nicht hätten antasten dürfen, die nicht die unsere ist. Wir waren nicht zu faul, und wir haben auch nichts angetastet, das nicht uns gehörte. In dem Augenblick, als die Anlage ihren Arm nach dem Menschen ausstreckte – mochte dies nun in guter Absicht geschehen sein oder in böser – , in diesem Augen- blick gehörte sie auch uns. Es war unsere Pflicht, auf ihre Aktionen zu reagieren und zumindest zu versuchen, die Men schen, die sie uns genommen hatte, ihr wieder zu entreißen. Wir wollten nicht töten. Soweit ich es überblicken kann, haben wir auch nicht getötet. Die Anlage wollte es auch nicht. Aber eben nur vielleicht. Was könntest du sonst noch sagen? Daß wir gar nicht erst hierher hätten kommen sollen? Ich habe es früher schon Nordin entgegengehalten: Hätte auch Kolumbus nie nach Amerika kommen sollen? Nein, er mußte und sollte nach Amerika kommen. Und wir eben hierher! Nur, daß der Mensch inzwischen begriffen hat, daß er nie und nirgends mehr als Eroberer und Blutsäufer auftreten darf. Wie habe ich das dir gegenüber einmal ausgedrückt? Immer auf des Messers Schneide? Ja, Jorge, wie das Leben immer ein Kompromiß ist zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen, so wird auch jede Begegnung unseres Lebens mit einem fremden Leben ein solcher Kompromiß sein müssen. Wir sind über diese schmale Grenze hinausgeraten, in den Bereich des Unmöglichen hinein, ohne daß wir es wollten oder auch nur hätten voraussehen können. Jetzt freilich wissen wir es. Aber eben erst jetzt. Doch damit weiß es zugleich auch die Menschheit, und sie wird un sere Fehler nicht wiederholen. Und die Erde geht nicht zu grunde, nur weil wir hier zugrunde gehen. Auch die Tantaliden gehen nicht zugrunde. Vielleicht haben auch sie etwas gelernt.“
    „Aber es muß doch zumindest die Möglichkeit zum Rückzug erhalten bleiben“, sagte ich angestrengt. „Wenn es auch nur ein temporärer Rückzug ist. Man kann ja wiederkommen mit gereifteren Möglichkeiten und Einsichten. Warum immer recht behalten wollen um jeden Preis?“
    Baskow hätte wohl gerne nachdenklich den Kopf gewiegt, ich sah es ihm an. „Vielleicht hast du recht in diesem einen Punkt“, meinte er dann. „Aber auch wieder nur vielleicht. Wie willst du denn das Leben bewahren können, wenn du von vornherein nicht gleichzeitig auch die Möglichkeit des Todes in Rechnung stellst? Es muß aber mit ihm gerechnet werden, so oder so, und es muß auch gewußt werden, wie er aussieht und jenseits welcher unsichtbaren Linie er beginnt, und dies eben darum, um ihm ausweichen zu können. Man muß dies ganz konkret in jedem einzelnen Fall wissen. Auf Nirwana und unter den Kompressionsblitzen der Shookers sah er anders aus. Hier sieht er nun so aus. Dies alles gehört auch zu den Voraussetzungen, damit Erfahrung und Möglichkeit reifen können. Verstehst du denn nicht? Ich würde auch lieber weiterleben, jeder von uns, aber dürfen wir uns denn beklagen, daß unser Streben nach Erkenntnis der Welt auch Opfer kostet? Fehler kann man ma chen, und man kann sie vermeiden – das meine ich nicht. Auf die Erfahrung aber zu verzichten, wie weit das Leben gehen kann, das hieße letztlich, auf das Leben selbst zu verzichten. Es wäre Stillstand und damit das Ende schlechthin.“
    „Was nützt das uns schon?“ fragte ich mit einem schweren Druck auf dem Hals.
    „Uns?“ Nun wiegte er doch seinen Kopf, die alte, unendlich vertraute Geste, obwohl sie ihm große Qualen bereiten mußte. „Uns nichts. Wohl aber denen, die nach uns kommen werden, und mögen Jahrtausende darüber hingehen.“
    „Du bist ein alter Mann, Baskow“, sagte ich müde. „Ich aber bin noch nicht so sehr alt.“
    „Ja“, sagte er leise, „ja, ich verstehe schon.“ Und er versuchte aufs neue, meine Hand zu erfassen. So tröstete schließlich der Sterbende den, der zurückblieb.
    „Weißt du“, sagte er nach einer langen Weile in das milde, lautlose Licht der Lampe hinein, „ich habe über alles noch ein mal nachgedacht. Ich glaube nun beinahe doch, daß sie noch hier sind.“
    „Wer?“ fragte ich atemlos und wußte schon, wen er meinte.
    „Die Tantaliden natürlich“, sagte er. „Nein, nein – nicht so, wie du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher