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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße
Autoren: Cormac McCarthy
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zwei Limonadenautomaten, die auf den Boden gekippt und mit einer Brechstange aufgestemmt worden waren. Überall in der Asche Münzen. Er ging in die Hocke und fuhr mit der Hand durch das Innere der ausgeweideten Maschinen, und in der zweiten schloss sie sich um einen kalten Metallzylinder. Er zog die Hand langsam zurück und hatte eine Coca-Cola-Dose vor sich.
    Was ist das, Papa?
    Was Feines. Für dich.
    Was ist das?
    Hier. Setz dich.
    Er lockerte die Trageriemen am Rucksack des Jungen, stellte die Last hinter ihm auf dem Boden ab, schob den Daumennagel unter die Aluminiumlasche im Deckel der Dose und öffnete sie. Er hielt die Nase in das aus der Dose dringende leichte Perlen und reichte sie dann dem Jungen. Na los, sagte er.
    Der Junge nahm die Dose. Das sprudelt, sagte er.
    Na los.
    Er sah seinen Vater an, dann kippte er die Dose und trank. Er überlegte einen Moment. Es schmeckt richtig gut, sagte er.
    Ja.
    Trink auch was, Papa.
    Ich möchte, dass du es trinkst.
    Trink auch was.
    Er nahm die Dose, trank einen kleinen Schluck und reichte sie zurück. Trink du es, sagte er. So lange bleiben wir einfach hier sitzen.
    Weil ich nie mehr eine andere zu trinken kriege, stimmt̕s?
    Nie mehr ist eine lange Zeit.
    Okay, sagte der Junge.
     
    In der Abenddämmerung des nächsten Tages waren sie in der Stadt. Die langen Betonbögen der Interstate-Kreuze vor der fernen Düsternis wie die Ruinen eines riesigen Lachkabinetts. Er trug den Revolver vorne im Gürtel und hatte den Reißver-schluss seines Parkas nicht zugezogen. Überall mumifizierte Tote. Das Fleisch entlang den Knochen aufgeplatzt, die Bänder zu Riemen vertrocknet und straff wie Drähte. Verschrumpelt und ausgemergelt wie Moorleichen der letzten Tage, ihre Gesichter wie gekochte Rohbaumwolle, ihre Zähne ein gelbes Staket. Wie Pilger irgendeines einfachen Ordens waren sie allesamt barfuß, denn ihre Schuhe waren längst gestohlen.
     
    Sie gingen weiter. Im Rückspiegel hielt er ständig nach hinten Ausschau. Das Einzige, was sich auf den Straßen bewegte, war die wehende Asche. Sie gingen über die hohe Betonbrücke, die den Fluss überspannte. Unten eine Hafenanlage. Kleine, halb im Wasser versunkene Vergnügungsboote. Flussabwärts hohe Schornsteine, trübe im Ruß.
     
     
    Am nächsten Tag stießen sie ein paar Meilen südlich der Stadt auf ein halb im toten Gestrüpp verborgenes, altes Holzrahmenhaus mit Kaminen, Giebelfenstern und einer Steinmauer. Der Mann blieb stehen. Dann schob er den Wagen die Einfahrt hinauf.
    Was ist das hier, Papa?
    Das ist das Haus, in dem ich aufgewachsen bin.
    Der Junge betrachtete es. Von den unteren Wänden waren die Holzschindeln mit dem abblätternden Anstrich weitgehend abgebrochen und als Feuerholz verwendet worden, sodass die Pfosten und die Isolierung freilagen. Das verrottete Fliegengitter der hinteren Veranda lag auf der Betonterrasse.
    Gehen wir hinein?
    Warum nicht?
    Ich habe Angst.
    Willst du denn nicht sehen, wo ich mal gewohnt habe?
    Nein.
    Es passiert nichts.
    Es könnte jemand da sein.
    Das glaube ich nicht.
    Aber wenn doch?
    Er blickte zum Giebelfenster seines früheren Zimmers auf. Dann sah er den Jungen an. Willst du hier warten?
    Nein. Das sagst du immer.
    Tut mir leid.
    Ich weiß. Aber du machst es trotzdem.
     
    Sie legten ihre Rucksäcke ab, ließen sie auf der Terrasse stehen, wateten durch den Abfall auf der Veranda und schoben sich in die Küche. Der Junge hielt sich an seiner Hand fest. Alles weitgehend so, wie er es in Erinnerung hatte. Die Zim-mer leer. In dem kleinen, vom Esszimmer abgehenden Raum ein nacktes, eisernes Bettgestell, ein Klapptisch aus Metall. In dem kleinen Kamin noch derselbe gusseiserne Rost. Die Kiefernholzvertäfelung war von den Wänden verschwunden, so dass das Futterholz bloßlag. Mit dem Daumen ertastete er im gestrichenen Holz des Kaminsimses die Löcher von Reißnägeln, die vor vierzig Jahren Strümpfe gehalten hatten. Hier haben wir Weihnachten gefeiert, als ich ein Kind war. Er drehte sich um und schaute hinaus auf die Einöde des Gartens. Ein Gewirr toten Flieders. Der Umriss einer Hecke. In kalten Winternächten, wenn bei Sturm der Strom ausgefallen ist, haben wir hier am Kamin gesessen, meine Schwestern und ich, und unsere Hausaufgaben gemacht. Der Junge sah ihm zu. Sah Schemen, die er nicht sehen konnte, von ihm Besitz ergreifen. Wir sollten gehen, Papa, sagte er. Ja, sagte der Mann. Aber er tat es nicht.
     
    Sie gingen durch das Esszimmer, wo der Schamottestein im
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