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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße
Autoren: Cormac McCarthy
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sah.
     
    Auf der Hügelkuppe beschrieb die Straße eine Kurve, in der sich eine Haltebucht befand. Ein alter Pfad, der in den Wald führte. Sie gingen ihn ein Stück, setzten sich auf eine Bank und blickten hinaus über das Tal, wo das Land sich sanft gewellt in grießigem Nebel verlor. Weiter unten ein See. Kalt, grau und schwer in dem leergefegten Becken der Landschaft.
    Was ist das da, Papa?
    Das ist ein Damm.
    Wozu ist der?
    Er hat den See entstehen lassen. Bevor sie den Damm ge-baut haben, war da unten bloß ein Fluss. Das Wasser, das durch den Damm fließt, hat große Ventilatoren angetrieben, die man Turbinen nennt, und die haben Strom erzeugt.
    Um Licht zu machen.
    Ja. Um Licht zu machen.
    Können wir hinuntergehen und ihn uns anschauen?
    Ich glaube, das ist zu weit.
    Wird der Damm noch lange da sein?
    Ich denke schon. Er besteht aus Beton. Wahrscheinlich wird er noch Hunderte von Jahren da sein. Vielleicht sogar Tausende.
    Meinst du, es könnte im See Fische geben?
    Nein. Im See gibt es nichts.
     
    In jener lang vergangenen Zeit hatte er irgendwo hier ganz in der Nähe zugesehen, wie ein Falke die lange blaue Wand des Berges herabgestürzt war, mit dem Kiel seines Brustbeins aus einem Zug Kraniche das innerste Tier herausgeschossen und es zum Fluss hinuntergetragen hatte, ein schlackerndes, knochenloses Bündel, das durch die stille Herbstluft eine Spur aus losen, taumelnden Federn zog.
     
     
    Die körnige Luft. Deren Geschmack einem nie aus dem Mund ging. Sie standen im Regen wie Tiere auf dem Bauernhof. Dann gingen sie weiter, hielten im eintönigen Geniesel die Plane über sich. Ihre Füße waren nass und kalt, und ihre Schuhe gingen kaputt. Auf den Hängen altes Getreide, tot und niedergedrückt. Die öde Kammlinie im Regen rau und schwarz.
     
     
    Und die Träume so farbenreich. Wie sonst würde der Tod einen locken? Beim Erwachen im kalten Morgendämmer wurde alles sofort zu Asche. Wie alte, jahrhundertelang in Grabkammern verborgene Fresken, die plötzlich dem Tageslicht ausgesetzt werden.
     
     
    Es klarte auf, und sie gelangten mit der Kälte endlich in das breite, tiefgelegene Flusstal, das zusammengestückelte Ackerland noch erkennbar, alles entlang dem öden Schwemmland tot bis auf die Wurzeln. Sie trotteten auf der Straße weiter. Große, mit Schindeln verkleidete Häuser. Dächer aus maschinengewalztem Blech. Auf einem Feld eine Holzscheune mit einer verblassten Reklame in drei Meter hohen Buchstaben auf der Dachschräge. Besuchen Sie Rock City.
     
    Die Hecken am Straßenrand hatten sich in Reihen schwarzer, verkrümmter Dornensträucher verwandelt. Kein Anzeichen von Leben. Er ließ den Jungen mit dem Revolver in der Hand auf der Straße zurück, stieg ein paar alte Kalksteinstufen hinauf, ging die Veranda des Farmhauses entlang und spähte durch die Fenster. Er verschaffte sich durch die Küche Ein-lass. Auf dem Boden Müll, alte Zeitungen. Porzellan in einem Vitrinenschrank, Tassen an ihren Haken. Er ging den Flur entlang und blieb in der Tür zum Wohnzimmer stehen. In der Ecke stand ein altes Harmonium. Ein Fernseher. Billige Polstermöbel zusammen mit einer alten Chiffoniere aus Kirschholz . Er stieg die Treppe hinauf und machte einen Gang durch die Schlafzimmer. Alles mit Asche bedeckt. Ein Kinderzim- mer, auf der Fensterbank ein Plüschhund, der in den Garten hinausblickte. Er durchsuchte die Schränke. Er zog die Betten ab, und seine Ausbeute waren zwei gute Wolldecken, mit denen er die Treppe hinunterging. In der Speisekammer standen drei Gläser mit eingemachten Tomaten. Er blies den Staub von den Deckeln und nahm sie genauer in Augenschein. Jemand vor ihm hatte ihnen nicht getraut, und am Ende tat auch er es nicht, ging mit den Decken über der Schulter hinaus, und sie machten sich wieder auf den Weg die Straße entlang.
    Am Stadtrand kamen sie zu einem Supermarkt. Auf dem mit Abfall übersäten Parkplatz ein paar alte Autos. Sie ließen ihren Einkaufswagen draußen stehen und gingen durch die ver-müllten Gänge. In der Obst- und Gemüseabteilung fanden sie auf dem Boden der Behälter ein paar alte grüne Bohnen und einige längst zu schrumpeligen Abbildern ihrer selbst vertrocknete Aprikosen. Der Junge folgte ihm auf Schritt und Tritt. Sie schoben sich durch die Hintertür hinaus. In der Gasse hinter dem Supermarkt ein paar Einkaufswagen, alle stark verrostet. Sie gingen erneut durch den Laden, um einen anderen Wagen zu finden, aber es gab keinen. Am Eingang befanden sich
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