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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße
Autoren: Cormac McCarthy
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durch die Asche, jeder die ganze Welt des anderen.
    Sie überquerten den Fluss auf einer alten Betonbrücke und stießen ein paar Kilometer weiter auf eine Tankstelle, die sie von der Straße aus in Augenschein nahmen. Ich finde, wir sollten sie uns mal genauer ansehen, sagte der Mann. Einen Blick hineinwerfen. Das Unkraut, das sie durchwateten, zerfiel um sie herum zu Staub. Sie überquerten das Vorfeld aus rissigem Asphalt und fanden den Tank für die Zapfsäulen. Der Deckel war verschwunden, und der Mann ließ sich auf alle viere nieder, um an dem Stutzen zu riechen, aber der Benzingeruch war nur noch zu erahnen, schwach und schal. Er stand auf und ließ seinen Blick über das Gebäude wandern. Die Schläuche der Zapfsäulen waren merkwürdigerweise noch ordentlich eingehängt. Die Fenster unversehrt. Das Tor zur Werkstatt stand offen, und er ging hinein. An einer Wand ein Werkzeugschrank aus Blech. Er durchsuchte die Schubladen, aber es war nichts darin, was er gebrauchen konnte. Gute Schraubendrehereinsätze. Eine Ratsche. Er sah sich in der Werkstatt um. Ein Metallfass voller Abfall. Er ging ins Büro. Überall Staub und Asche. Der Junge stand in der Tür. Ein Schreibtisch aus Metall, eine Registrierkasse. Ein paar alte Reparaturhandbücher, aufgequollen und nass. Wegen des undichten Dachs war das Linoleum fleckig und wellte sich. Er ging zum Schreibtisch hinüber und verharrte einen Moment lang. Dann nahm er den Hörer ab und wählte die Nummer seines Vaters aus jener lang vergangenen Zeit. Der Junge sah ihm zu. Was machst du da?, fragte er.
     
    Fünfhundert Meter weiter blieb er stehen und blickte zu- rück. Wir denken nicht nach, sagte er. Wir müssen zurück. Er schob den Wagen von der Straße und kippte ihn um, sodass er nicht mehr zu sehen war, sie legten ihre Rucksäcke ab und gingen zu der Tankstelle zurück. In der Werkstatt zerrte er die Metalltonne mit dem Abfall von der Wand, kippte sie um und sortierte sämtliche Plastik-Ölflaschen aus. Dann saßen sie auf dem Boden und ließen den Bodensatz aus den leeren Flaschen ab, indem sie eine nach der anderen verkehrtherum in einen Topf stellten, bis sie am Ende fast einen Viertelliter Motoröl gewonnen hatten. Er schraubte den Plastikdeckel fest, wischte die Flasche mit einem Lappen ab und wog sie in der Hand. Öl für ihre kleine Funzel, um die langen grauen Morgen- und Abenddämmerungen zu erhellen. Dann kannst du mir eine Geschichte vorlesen, sagte der Junge. Oder, Papa? Ja, sagte er.
     
    Auf der anderen Seite des Flusstals führte die Straße durch völlig verbranntes schwarzes Gelände. In alle Richtungen erstreckten sich verkohlte, astlose Baumstümpfe. Asche wehte über die Straße, und von den geschwärzten Strommasten hingen wie schlaffe Hände abgerissene Kabel und wimmerten dünn im Wind. Auf einer Lichtung ein abgebranntes Haus, dahinter ein Streifen Weideland, öde und grau, und ein nackter roter Erdwall von einer verlassenen Baustelle. Weiter weg Reklametafeln, die für Motels warben. Alles, wie es einmal gewesen war, nur verblichen und verwittert. Auf der Hügelkuppe standen sie in Kälte und Wind und verschnauften. Er sah den Jungen an. Alles in Ordnung, sagte der Junge. Der Mann legte ihm die Hand auf die Schulter und deutete mit einer Kopfbewegung zu dem offenen Land hin, das unter ihnen lag. Er nahm das Fernglas aus dem Wagen und suchte die Ebene dort unten ab, wo sich im Grau der Umriss einer Stadt erhob wie eine auf die Einöde geworfene Kohleskizze. Nichts zu sehen. Kein Rauch. Darf ich mal schauen?, fragte der Junge. Ja. Natürlich. Der Junge stützte sich auf den Wagen und stellte
    die Schärfe nach. Was siehst du?, fragte der Mann. Nichts. Er senkte das Fernglas. Es regnet. Ja, sagte der Mann. Ich weiß.
     
     
    Sie ließen den Wagen, mit der Plane abgedeckt, in einer trockenen Rinne und stiegen zwischen den dunklen Stangen der stehengebliebenen Bäume hindurch den Hang hinauf bis zu einer Stelle, wo er ein Felsgesims gesehen hatte, und unter dessen Vorsprung saßen sie und sahen zu, wie die grauen Regenwände über das Tal wehten. Es war sehr kalt. Sie kauerten aneinander, jeder zusätzlich zur Jacke in eine Decke gehüllt, und nach einer Weile hörte es auf zu regnen, und es fielen nur noch vereinzelt Tropfen von den Zweigen.
     
    Als es aufgeklart hatte, gingen sie zu dem Wagen hinunter, zogen die Plane weg und holten ihre Decken und alles, was sie für die Nacht brauchten. Sie stiegen den Hügel wieder hinauf, schlugen auf
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