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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ging zu der Wiege, nahm Svetlana auf ihre Arme und drückte sie an sich. Die Kleine grunzte wohlig und tatschte mit ihren Händchen über Corinnas Gesicht. In der Küche kehrte Marius die Glasscherben weg und starrte auf die neu erblühten Blumen. Er ergriff sie, stopfte sie in den Mülleimer und hieb mit den Fäusten hinterher. Haß und Angst waren in diesen Schlägen und die ganze Verzweiflung vor dem Unentrinnbaren.
    Am Abend rief Doerinck wieder an. »Wie geht es euch, meine Lieben?«
    »Gut, Papa«, sagte Corinna. Ihre Stimme verriet nicht die Lüge.
    »Was ist mit meinem kleinen Schätzchen?«
    »Es schläft schon.«
    »Was habt ihr heute gemacht?«
    »Wir sind spazierengegangen bis zum Wasserfall.«
    Aber draußen regnete es noch immer, den ganzen Tag über. Man konnte keinen Schritt ins Freie setzen.
    »Dann habt ihr schönes Wetter?« fragte Doerinck.
    »Strahlende Sonne, Papa. Den ganzen Tag.«
    »Bei uns regnet es Stein und Bein. So, und jetzt kommt Mama. Gib meinem Schätzchen ein Küßchen vom Opa …«
    Das Telefongespräch war eine Qual. Als Ljudmila auflegte, fühlte sich Corinna wie erlöst. »Das wird jetzt unsere Hauptaufgabe werden, Marius«, sagte sie, und es klang sehr müde. »Lügen. Nach allen Seiten lügen. Wir müssen uns unsere Ruhe zusammenlügen.«
    *
    Anfang November bekam Svetlana über Nacht Fieber. Sie war jetzt fast sechs Monate alt, ein kräftiges Kind von einer erstaunlichen Schönheit, schwarzhaarig, aber mit strahlenden blauen Augen. Wenn Mutter und Tochter sich ansahen, wenn Corinna das Kind auf ihre Arme nahm, war es, als umhülle sie eine Wolke aus Wärme.
    Dr. Zimmerli kam sofort, als Marius ihn heimlich anrief. Corinna hatte es nicht gewollt, und als er an der Tür klingelte und sie öffnete, sagte sie auch ziemlich abweisend: »Dr. Zimmerli! Was wollen Sie denn bei uns?«
    »Svetlana ist krank? Sie hat Fieber?« Er ging an Corinna vorbei ins Haus, zog den Mantel aus und griff wieder nach seiner Arzttasche.
    »Marius hat Sie angerufen, nicht wahr?«
    »Wohl dem Kinde, das einen besorgten Vater hat. Ich kenne da andere Familien. Da ist eine kranke Kuh viel wichtiger. Kann ich zu Svetlana gehen?«
    Sie nickte, wies auf das Schlafzimmer, ließ Dr. Zimmerli einen Augenblick allein und lief hinüber zum Atelier, wo Marius malte. Er hatte in den Anbau ein breites Fenster brechen lassen, und das Licht flutete hell herein. Nordlicht – das beste Licht für einen Maler, weil es ein neutrales Licht war.
    »Du hast Zimmerli gerufen?« sagte sie laut.
    »Ja. Svetla hat Fieber.«
    »Sie … sie braucht keinen Arzt.«
    »Cora! Wir haben uns geschworen, deine Hände zu vergessen.«
    »Bei allen auf der Welt – aber doch nicht bei uns. Bei uns nicht!«
    Sie wandte sich heftig um und eilte zurück ins Haus. Dr. Zimmerli hatte Svetlana aus der Wiege genommen und aufs Bett gelegt und packte gerade sein Stethoskop zur Seite. Die Kleine strampelte und greinte dabei leise.
    »Svetlana muß ins Spital«, sagte Dr. Zimmerli. »Rein vorsichtshalber. Zur Beobachtung. Es kann eine Ernährungsstörung sein. Was mich aber sehr nachdenklich macht, ist, daß sich eine Gelbsucht ankündigt. Gelbsucht bei Säuglingen … ich rufe sofort den Spitalwagen an.«
    »Nein!« sagte Corinna fest. Dr. Zimmerli blickte vor diesem Klang erschrocken auf.
    »Was heißt nein?«
    »Svetlana bleibt hier.«
    »Das sagen Sie. Ich sage das Gegenteil. Ich kann es nicht verantworten, wenn …«
    »Es ist mein Kind, und ich verantworte es! Svetlana bleibt bei mir.«
    »Also gut! Werden wir grob.« Dr. Zimmerli packte aus der Arzttasche einen Chrombehälter mit Spritzen und Nadeln. »Ich bin als Arzt gerufen worden, ich stelle eine besorgniserregende Erkrankung bei einem Kind fest, halte die Einweisung in ein Spital für dringend notwendig und mache Sie darauf aufmerksam, daß eine Weigerung für das Kind lebensgefährlich sein kann. Wenn hier etwas passiert, machen Sie sich strafbar.« Dr. Zimmerli suchte eine Ampulle aus der Tasche und hob sie gegen das Licht, nachdem er den Glashals freigeklopft hatte. »Svetlana hat eine Gelbsucht. Ihr Stuhl ist gelb und breiig.«
    »Nein, er ist fast rotfarben.«
    »Von mir aus!« Dr. Zimmerli packte eine Spritze aus. »Rufen wir Ihren Mann. Der wird als Maler die Farbe genau bestimmen können. Bis zum Transport gebe ich der Kleinen eine Injektion.«
    »Auch das tun Sie nicht. Ich verbiete es.« Corinna trat an das Bett, hob Svetlana an ihre Brust und drückte sie an sich. Die wärmende
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