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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sagte Corinna. Ihre weite Armbewegung schien die ganze Welt zu umfassen. »In ein paar Stunden können wir alle wieder zusammen sein.« Dagegen gab es kein Argument mehr.
    *
    Das neue Haus lag an einem sanften Wiesenhang unterhalb eines in den Himmel stoßenden imponierenden, zerklüfteten Berges. Er hieß das Hammerhörnli, weil es – wenn man den Kopf schief hielt und es so betrachtete – einem Hammer mit einem kurzen Stiel glich. Unten durch das Tal schlängelte sich ein Flüßchen. Eine Holzbrücke verband den Zufahrtsweg zum Haus mit der jenseits des Wassers liegenden Dorfstraße. Es ging ziemlich steil bergauf, und Marius hatte gesagt: »Da brauchen wir einen Geländewagen, sonst kommen wir im Winter da nie rauf!«
    Sie hatten das Haus nicht durch einen Makler bekommen, sondern zufällig entdeckt. Eine Woche lang waren sie in den Schweizer Bergen herumgefahren, um sich die Angebote anzusehen, aber alle Häuser lagen zu nahe der Zivilisation – in bekannten Kurorten, in deren Vororten oder in der Nähe von Städten. »Was Sie suchen«, sagte einer der Makler zu ihnen, »haben wir nicht im Angebot, weil's keiner kauft. Die Deutschen wollen immer da hin, wo sie die große Welt riechen. Wer will denn in ein winziges, unbekanntes Dorf? Das wird schwer sein für Sie. Fahren Sie mal rum … im Wallis, im Berner Oberland, in Graubünden. Da kann's vielleicht noch Hütten geben, vor denen andere weglaufen. Wer will denn heute noch absolute Natur?«
    Bei einer dieser Fahrten durch die Seitentäler sahen sie dann dieses Haus. Unten an der Holzbrücke hing ein verwittertes Schild: ZU VERKAUFEN. Sie waren aus dem Wagen gestiegen, hatten es von unten betrachtet und sich umarmt.
    »Das ist es!« hatte Corinna gesagt. »Eine Wiese, ein Bach, ein breites Dach und dahinter der Berg wie eine schützende Hand. Das ist es, Marius! Hier kann unser Kind aufwachsen.«
    Das Haus gehörte einem Holzhändler im Dorf. Er nannte einen Preis, über den man nicht zu diskutieren brauchte. Und da die meisten Schweizer gewissenhafte und gesetztreue Bürger sind, rief er sofort hintereinander alle an, die für einen Verkauf an einen Ausländer zuständig waren; vom Dorfobmann bis zum Notar. »Ischt guet«, sagte er dann, holte drei Gläschen und eine Flasche Kräuterschnaps. »Wird alles gehen. Salut!«
    Mit der Bezahlung des Hauses hatte Marius keine Schwierigkeiten mehr. Morrison & Sons hatten die erste Rate für zwanzig Bilder überwiesen: 30.000 Dollar. Morrison hatte geschrieben, er steige gleich hoch im Preis ein. Nach Ansicht der Käufer sei nur das etwas wert, was auch teuer sei. Die 30.000 seien also auch nur eine Anzahlung. Ostern stelle man die Bilder in New York aus; dann werde man sehen, wie der Markt reagiert. Die Propaganda lief schon: Marius Herbert, der van Gogh des 20. Jahrhunderts.
    Und dann standen Corinna und Marius Hand in Hand in dem kalten, leeren Haus mit den Arfenholzwänden und den breiten Dielenböden, mit dem zentralen Kachelofen und der rundum laufenden Sitzbank. Die Fensterläden klapperten im Wind, die blanken Glühbirnen pendelten an den Leitungsschnüren.
    »Unser Haus!« sagte Corinna feierlich und legte beide Hände auf ihren Bauch, der sich jetzt deutlich wölbte. »Bis alle Formalitäten erledigt sind, dauert es noch eine Weile. Aber laß uns jetzt schon umziehen, Marius. Ich möchte, daß unser Kind hier zur Welt kommt. Hier, im Frieden dieser schönen Welt.«
    Im April zogen sie ein. Mit neuen Möbeln, die sie im großen Möbelhaus eines Einkaufszentrums kauften.
    Im Haus roch es nach Farbe und frischem Holz. Die letzten Handwerker halfen noch beim Ausladen mit, der Elektriker klemmte die Lampen an, der Installateur übergab die neueingebaute Küche. Marius probierte das Telefon aus, es war bereits angeschlossen. Die laute Welt, die sie verlassen hatten, war immer erreichbar.
    Den ersten, den sie anriefen, war der Arzt im Ort, ein Dr. Ruedi Zimmerli. »Ich bin schwanger«, sagte Corinna. »Im achten Monat. In welches Krankenhaus komme ich?«
    »Ich besuche Sie morgen nach dem Mittagsmahl«, antwortete Dr. Zimmerli. »Da sprechen wir alles durch. Grüezi!«
    Dr. Zimmerli war ein langer, knochiger Mensch, vom Wetter der Berge gegerbt, und wortkarg wie die Bauern, die er behandelte. Er fuhr einen Geländewagen, mit dem er überall hinkam. Corinna begrüßte er mit einem langen, nachdenklichen Blick, als habe er dieses Gesicht schon mal gesehen, nur die Erinnerung verließ ihn jetzt. Er blieb eine halbe
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