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Die Stimme des Wirbelwinds

Die Stimme des Wirbelwinds

Titel: Die Stimme des Wirbelwinds
Autoren: Walter Jon Williams
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stechend, daß er zusammenzuckte. Er legte eins von Griffiths Taschentüchern auf die Wunde, steckte die Pistole in den Gürtel und trat auf den Korridor hinaus.
    In dem Gebäude war überall Panik ausgebrochen. Wachmänner liefen mit gezogenen Pistolen auf den Fluren herum, schienen jedoch keine Ahnung zu haben, worauf sie zielen sollten. Der Kopf war abgetrennt worden, und der Körper schien nicht zu wissen, was er tun sollte. Er fragte sich, ob die Panik der Mächte durch die Lüftung heraufkam und sich irgendwie auf das V-Anhängsel auswirkte.
    Steward machte sich auf den Weg. Das Laufen fiel ihm jetzt schwer, und er hinkte. Er versuchte einen Rhythmus in Atmung und Bewegung aufzubauen, der das Hinken mit einbezog. Das war gutes Zen, fand er. Spuck ins Auge der Leere.
    Ich habe kein Ziel, dachte er. Gelegenheit ist mein Ziel Er schmeckte Blut im Mund. Scheiße. Eine Lunge war verletzt.
    Ich habe keine Wunderkraft. Das Prinzip der Gerechtigkeit ist meine Wunderkraft.
    Er hatte den Rest des Gedichts vergessen, bis auf den Schluß. Der Alpha nahm allen Platz in seiner Seele ein.
    Helles Licht blendete ihn. Die Glastüren waren direkt vor ihm. Er humpelte an drei Sekretärinnen vorbei und auf die Straße hinaus. In Los Angeles war es so heiß, daß es ihm erneut den Atem raubte. Die Sonne war so grell, daß er kaum etwas sehen konnte. Er griff nach seiner Sonnenbrille und zog statt dessen die Pistole heraus. Er sah sie einen Augenblick lang an.
    Merde, dachte er. Er ging die Straße entlang. Einen Fuß vor den anderen. Er hörte Leute rufen.
    An der Ecke war ein Münzfernsprecher. Er langte mit der freien Hand in die Tasche und versuchte eine Kreditnadel zu finden. Blut rasselte in seinem Hals, und er wollte sich erbrechen. Er setzte sich hin.
    In der Ferne ertönten Sirenen. Steward würgte Blut hoch und spuckte aus. Noch einmal ins Auge der Leere gespuckt.
    Er merkte, daß Leute um ihn herumstanden. Ihn anstarrten. Er zeigte ihnen den Mittelfinger.
    »Écrasez l'infâme«, sagte er.
     
    An seiner Tür war ein Wachmann, und Steward hörte, wie Polizisten sich draußen mit den Ärzten stritten. »Die Mächte«, sagte jemand. »In einem Bunker.« Mehr konnte er nicht hören, weil mit seinem Tropf etwas nicht stimmte und der Monitor immerzu blökende Geräusche von sich gab, die Krankenschwestern hektisch herumrennen ließen. Schließlich tauschten sie ihn aus.
    Er spürte, daß die Ärzte die Debatte für sich entschieden. Er lächelte und schlief ein.
    Steward wachte zum Geräusch eines Schrittes auf. Irgendwie wußte er, daß mit dem Geräusch etwas nicht stimmte.
    Er schlug die Augen auf und sah Haare wie poliertes Kupfer, gebräunte Haut, einen Laborkittel und eine Schußwaffe. Reese. Sie verwischte ihre Spuren und hatte wahrscheinlich keine Wahl.
    »Tut mir leid«, sagte sie und hob die Pistole.
    »He«, wollte er sagen, »ich bin dir was schuldig.« Aber da seine Kehle nicht richtig funktionieren wollte, versuchte er bloß zu lächeln.
    Der Alpha fuhr mit der Gewalt eines Wirbelwinds in ihn hinein. Er nahm Dinge wahr: das klagende Heulen der Mächte. Griffiths Lächeln. Das Geräusch von Gewehrfeuer an einem sonnigen Tag. Sheol, als die Blizzards kamen. Die Stimme des Alphas, die ihm ins Ohr flüsterte. Blut am wirbelnden Horizont, immer näher, ein Brennen in der Nacht …
    Was er die ganze Zeit gesucht hatte.
     

21
    Steward spürte den regelmäßigen Zustrom von Luft in seinen Lungen. Ein Schlauch steckte schlaff und warm in seiner Nase. Die Kälte wich, als sie ihn mit warmen Flüssigkeiten füllten. Er hörte das Zischen der Maschine, die für ihn atmete.
    Am Einströmen des Lebens in seine Lungen erkannte er, daß er tot war. Er fragte sich, wie es passiert war, wie das Ende gekommen war. Tot in LA, dachte er. Der Endpunkt einer sehr langen Flugbahn.
    Ein Leben, dachte er. Ein Pfeil.
    Er hoffte, daß der Beta richtig gehandelt hatte.
     
    Der erste Mensch, den er sah und der nichts mit der Klinik zu tun hatte, war Janice Weatherman. Sie brachte ein Paket mit Torte und dazu ein Päckchen sehr guten Kaffee samt einer Maschine mit, in der man ihn zubereiten konnte. Sie trug ein weiches, beigefarbenes Jackett. Silber glänzte an ihren Handgelenken und ihrem Hals.
    »Ich wollte die Empfehlung der Bank überbringen«, sagte sie. »Wir hoffen, daß Sie weiter unser Kunde bleiben.«
    »Im Leben nach dem Tod«, sagte Steward. Er mußte flüstern. Die Maschine beatmete ihn durch einen Luftröhrenschnitt, und er
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