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Die Stimme des Blutes

Titel: Die Stimme des Blutes
Autoren: Catherine Coulter
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des Mädchens bohrte, um zu fühlen, ob ihre Jungfernschaft noch intakt sei. Eine solche erniedrigende Handlung war für ihn unverständlich, besonders da das Mädchen keine Möglichkeit hatte, dieser Beschämung zu entgehen.
    »Colchester ist nicht der einzige unverheiratete Mann im Königreich«, sagte Roland freundlich. »Dann gebt sie doch einem anderen zur Frau! Sie scheint eine reiche Erbin zu sein. Die meisten Männer stellen nicht so hohe Ansprüche an ihre Frau.«
    »Nein, sie soll Colchester heiraten und keinen anderen. Es ist die einzige Verbindung, die ich anerkenne.«
    Da begriff Roland. Der Graf von Reymerstone hatte mit dem Grafen von Colchester ein Abkommen getroffen, das ihm bei vollzogener Ehe mehr Gewinn eintrug, als die Mitgift ausmachte.
    »Wenn ich eine Jungfrau befreie, werde ich Euch auch eine Jungfrau heimbringen.«
    »Ausgezeichnet. Wenn nicht, werde ich sie töten und Euch ebenfalls, de Tournay. Dann behalte ich die Mitgift selber, denn sie kann mir nichts mehr bringen.«
    Roland glaubte ihm das. Der Graf würde es zumindest versuchen. Er nickte ihm kurz zu und bestieg wieder Cantor. Dann machte er sich auf den Weg nach London, um den König zu sprechen. Danach würde er nach Cornwall reiten, wo er Graelam de Moreton besuchen mußte. Schließlich wollte er noch nach Thispen-Ladock, nur um einen Blick auf die Steinmauern und die grünen Hügel zu werfen und über den Burghof zu spazieren. Er hatte Zeit genug. In den folgenden zwei Wochen würde er sich einen Plan zurechtlegen. Von Cornwall aus würde er nordwärts zur Burg Tyberton an der Südostecke von Wales reiten, die seit Herzog Williams Eroberung Englands im Besitz der Clares war. Er wußte jetzt, wie er sich Edmond von Clare vorstellen würde. Er sah sich schon in der neuen Rolle und lächelte. Doch bevor er die Burg Tyberton erreichte, mußte er noch einiges lernen. Als er daran dachte, strahlte sein Gesicht vor Vergnügen.
    Burg Tyberton am Fluß Wye,  Mai 1275
    Ena ordnete die Falten von Darias Seidenkleid zu einem gefälligeren Sitz. »So, jetzt seht Ihr schön aus. Auch der Mann wird Euch schön finden. Der liebe Gott da oben weiß es. Nehmt Euch mit dem Kleid in acht, ja, kleine Herrin?«
    »Ja«, sagte Daria. Enas Warnungen, Ermahnungen und Vorahnungen gehörten zu ihrem täglichen Brot, und durch die ständige Wiederholung hatten sie viel an Wirkung eingebüßt. Edmond von Clare dachte mit Sicherheit daran, sie zu vergewaltigen. Heute würde es soweit sein.
    Doch er tat es nicht, und die Tage vergingen. Langsam, so entsetzlich langsam. Sie wünschte, Ena würde sie nicht mehr >kleine Herrin< nennen. Er nannte sie nämlich so, und sie haßte es. Sie war jetzt seit dem 12. März hier, fast zwei Monate, und sie hätte schreien können vor Langeweile, Angst und der furchtbaren Spannung, die sie nie aus den Fängen ließ. Sie war eine Gefangene und wußte nicht, was ihr Entführer von ihr wollte. Anfangs hatte sie ihn einmal mit vor Angst rauher Stimme gefragt: »Wenn Ihr Lösegeld für mich erhaltet, laß Ihr mich dann gehen? Wollt Ihr nur meine Mitgift? Warum sagt Ihr nichts? Warum erklärt Ihr Euch nicht?«
    Daraufhin hatte Edmond von Clare sie geschlagen, nicht allzu hart, aber sie fühlte doch den Schmerz im ganzen Körper und taumelte zurück. Fast wäre sie auf die Knie gefallen. Er sah mit Wohlwollen, daß es ihr weh getan hatte, und sagte dann gleichmütig: »Du wirst tun, was ich dir sage, und mir keine Fragen mehr stellen. Und jetzt, kleine Herrin, möchtest du vielleicht den köstlichen Lammschmorbraten probieren?«
    Er blieb ein Rätsel für sie. Sie fürchtete sich vor ihm, aber seitdem hatte er sie nie wieder geschlagen. Natürlich hatte sie auch alles vermieden, was ihn reizen könnte. Und sie spürte seinen Hang zur Gewalttätigkeit, genauso wie sie ihn an ihrem Onkel Damon gespürt hatte. Einmal hatte ihm ein Diener dickes Soßenfleisch auf den Ärmel gekleckert. Daria sah, wie die Zornesader an seinem Hals schwoll, wie er die Fäuste ballte. Aber er beherrschte sich und sprach nur mit milder Stimme einen sanften Tadel aus. Warum aber hatte der Diener so ausgesehen, als erwarte er den sofortigen Tod von seiner Hand? Warum war er so freudig überrascht gewesen, daß ihm nichts geschehen war?
    Wenn er ein Lösegeld für sie forderte, wie sie annehmen mußte, so hatte sie doch keine Ahnung, was er verlangt hatte. Sie wußte auch nicht, ob ihr Onkel ihm geantwortet hatte. Sie wußte gar nichts. Das quälte und
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