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Die Stimme des Blutes

Titel: Die Stimme des Blutes
Autoren: Catherine Coulter
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und Schrecken und nie endender Kummer. Diesmal war es ein seltsamer Schock des Erkennens, ein Wissen um einen anderen Menschen, den sie noch nie gesehen hatte. Was bedeutete es? War es dem armen jungen Priester bestimmt, zu sterben? Sie glaubte es nicht. Sie wußte es einfach nicht. Aber als sie ihn erblickte, hatte sich in ihrem Inneren etwas gerührt, und dann hatte er nach Art eines Priesters ihre Hand ergriffen, und die Berührung hatte sie wie ein bohrender Stich getroffen.
    Und dann war sie wie ein kleines Dummchen in Ohnmacht gefallen. Während sie im Beisein des Grafen noch immer den jungen Priester offenen Mundes anstarrte, war sie in Ohnmacht gefallen.
    Es klopfte an der Zimmertür. Daria drehte sich um. Ena lief hin, zog die Tür einen Spaltweit auf und spähte hinaus. Daria hörte Edmond von Clares Stimme. Dann schob er Ena weg und kam ins Zimmer.
    Der hochgewachsene Mann schaute auf sie hinab. »Du bist ja wieder wach«, sagte er. »Was war denn mit dir los? Bist du etwa krank?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Was dann?«
    Sollte sie ihm sagen, daß ihre Großmutter im Wahnsinn gestorben war und sie wie eine Hexe auf dem Totenbett verflucht hatte? Daß sie vielleicht sogar selbst eine Hexe geworden war? »Es tut mir leid, daß ich Euch Sorgen bereitet habe. Mir wurde nur einfach plötzlich übel. Der Benediktinerpriester... soll er auf Tyberton bleiben?«
    »Ja. Ich wollte ihn dir vorstellen, aber da brachst du vor unseren Augen zusammen, und der junge Mann war natürlich sehr besorgt. Du hast ihm einen großen Schreck eingejagt, und nun will ich wissen, ob du es vielleicht absichtlich getan hast. Vielleicht, um seine Hilfe zu erlangen? Ihn zu bitten, daß er dir zur Flucht verhilft?«
    »Nein.«
    »Das konnte ich mir auch nicht vorstellen. Nein, Daria, es fehlt dir an Tücke, um deine Ziele mit Hinterlist zu verfolgen.«
    Sie fragte sich, wie er zu der Ansicht gelangt war, daß er sie so durchschauen könnte. Und sie wünschte den Augenblick herbei, in dem sie ihn durch Hinterlist hereinlegen würde.
    »Er scheint ein frommer und gelehrter junger Mann zu sein«, fuhr Edmond von Clare nach einer Weile fort. »Nach allem, was ich höre, bringen die Benediktiner immer wieder hingebungsvolle Priester hervor. Er wird hier in meinem Dienst bleiben.«
    »Wie heißt er?«
    »Er sagt, in der Benediktinerabtei habe man ihm den Namen Corinthian gegeben. Morgen früh hält er eine Messe für uns ab. Nur du und ich nehmen teil, sonst keiner. Meine Seele verlangt nach Reinigung. Deine beschützte Jugend hält dich der Sünde fern, doch wird Gottes Wort auch deinen Ohren guttun.«
    Daria wollte den jungen Priester nicht Wiedersehen, und doch verlangte es sie zur selben Zeit, ihn wenigstens noch einmal zu sehen, um festzustellen, ob sie vielleicht nicht nur aus Angst und Verzweiflung über ihre Gefangenschaft in Ohnmacht gefallen war.
    Er war ja ein Priester, ein Mann Gottes. »Ich werde zur Kapelle kommen«, sagte sie.
    Edmond von Clare sah sie schweigend lange Zeit an. Dann sagte er: »Wie sanft du bist«, und ging.
    Sie blieb wie erstarrt zurück. In seinem Blick und seiner leichten Berührung war nichts Gemeines gewesen, eher eine gewisse Zärtlichkeit. Das erschreckte sie. Es war keine Wollust, und doch war Wollust dabei. Und etwas, das noch viel schlimmer war.
    Zum Abendessen schritt sie langsam in den großen Saal. Edmond saß bereits auf seinem Herrensessel, der neue Priester ihm zur Linken. Der Sessel zu seiner Rechten - ihr Sessel - war leer. Sie ging noch langsamer. Sie konnte den Blick nicht von dem Priester wenden.
    Im vollen Licht der Wandfackeln glänzte sein dunkles Haar rein und seidig. Er trug einfache Kleidung, die jedoch im Gegensatz zu anderen Priestern, die sie gesehen hatte, sauber war. Selbst in dem weiten Rock war zu sehen, daß er schlank und gutgebaut war. Es schien nicht der Körper eines Mannes zu sein, der nur geistlichen Dienst verrichtet. Er sah kräftig und unternehmungslustig aus, wie jemand, der ebensogut auch seinen Platz als Ritter oder Krieger einnehmen könnte. Er hatte gutgeformte Gesichtszüge, von den geschwungenen schwarzen Augenbrauen bis zu dem Grübchen im Kinn. Sein Teint war fast so dunkel wie der eines Arabers, die Augen fast so schwarz wie das Haar. Beim Sprechen machte er ausdrucksvolle Handbewegungen, um seine Worte zu unterstreichen. Er wirkte intelligent. Nun, er war ein Priester, aber er war auch ein gutaussehender Mann. Plötzlich blickte er auf, sah sie, und sein
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