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Ausgewichtelt

Titel: Ausgewichtelt
Autoren: Paula Havaste
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Kapitel 1
    A ls der Weihnachtsmann in seiner neu gebauten Hütte dem Korvatunturi nahe am Polarkreis aufwachte, freute er sich über das helle Licht, das durch das kleine Fenster fiel. Die rauen Dielenbretter kitzelten ihn an den Fußsohlen, als er barfuß zur Tür ging und sie aufstieß. Herrlich! Kalte Frostluft und einige schimmernde Schneeflocken wehten herein. Der Hof, der Wald und der Fjell waren endlich weiß. Die ganze letzte Woche hatte er den Schnee herbeigesehnt.
    Der Weihnachtsmann lauschte auf die Stille ringsum und rieb gedankenverloren den Zauberstein, einen Polarlichtstein, den er um den Hals trug. Der Stein fühlte sich warm und leicht an, haargenau so, wie sich auch der Weihnachtsmann fühlte. Der Neuschnee strahlte tiefen Frieden aus, und der Weihnachtsmann verspürte beim Anblick der lappländischen Landschaft zugleich Einsamkeit und eine Art feierliches Glück. Wie schön war es doch, in einem selbst gebauten neuen Haus zu erwachen.
    Er reckte sich wohlig.
    »Pju! Bist du der Weihnachtsmann?«, hörte er plötzlich eine hohe Stimme fragen.
    Erschrocken sprang der Weihnachtsmann in seine Hütte zurück. Direkt vor seiner Nase war mit einem Mal ein spitzer schwarzer Schnabel aufgetaucht. Ein fingerlanger grauer Vogel hatte sich vor ihm an die Traufe gekrallt.
    »Man sagt, hier haust einer, der sich Weihnachtsmann nennt.«
    Der Weihnachtsmann sah sich das wippende kleine Wesen, das da vor ihm hing, genauer an. Flanken, Bauch und Flügel waren grau, den einzigen Schmuck bildete ein schwarz glänzender Fleck auf dem Kopf. Bei dem Vögelchen handelte es sich also um eine ungewöhnlich kleine und zerzauste Sumpfmeise.
    »Das bist bestimmt du, auch wenn man mir gesagt hat, der Weihnachtsmann sei nicht mundfaul. Aber ansonsten stimmt die Beschreibung: weißer Bart und dicker Bauch«, ließ es nun vernehmen.
    Der Weihnachtsmann zog empört den Bauch ein. Jaja, er war ein bisschen mollig, das ja, aber doch nicht dick!
    »Ja, ich bin der Weihnachtsmann. Und wie heißt du, kleine Sumpfmeise?«
    »Du kannst mich Kyksi nennen«, sagte der zauselige Vogel und legte den Kopf schräg.
    Der Weihnachtsmann gab sich alle Mühe, nicht zu grinsen. Kyksi? Da hatte der kleine Vogel sich ja einen prächtigen Namen zugelegt.
    »Guten Tag, Kyksi. Wohnst du hier im Wald?«
    »Jetzt nicht mehr. Ich dachte mir, ich ziehe auf deinen Hof und helfe dir, verstehst du? Man kann nie wissen, ob du mich nicht bald für eine Heldentat brauchst.«
    Das amüsierte den Weihnachtsmann. Helden von der Größe dieses Vögelchens wurden selten gebraucht, aber, nun gut, warum sollte das Federbällchen sich nicht für großartig halten? Er lachte freundlich und strich der Sumpfmeise mit dem Zeigefinger über die Halsfedern. Der Vogel hüpfte gleich von der Traufe auf den Arm des Weihnachtsmannes und flatterte mit den Flügeln. Offenbar hatte er Schwierigkeiten, sich zu putzen, denn die Schwanzfedern standen in alle Richtungen ab.
    »Weißt du, Weihnachtsmann, irgendwann vollbringe ich eine so unglaubliche Heldentat, dass sich sogar das Polarlicht vor mir verneigt. Aber heute noch nicht und auch nicht nächste Woche, denn es gilt, zuerst Kraft und Mut zu sammeln. Deshalb brauche ich viel Futter und gute Pflege.«
    »Oho! Du willst also ein Freund des Polarlichts werden. Fressen Helden wie du eigentlich viel?«
    »Natürlich, ich brauche fünfzehn Körner am Tag – und die ersten jetzt sofort. Zieh dir schnell die Schuhe an und komm!«
    Der Weihnachtsmann schlüpfte auf kalten Füßen in die Hütte, um sich anzuziehen. In den mit weichem Heu gefüllten Rentierlederstiefeln, deren Spitzen nach oben gebogen waren, wurden seine Füße rasch wieder warm. Einen Pullover, eine Rentierpelzjacke, einen Hut aus Rentierleder und Fausthandschuhe, dann war der Weihnachtsmann fertig.
    »Gute Ausrüstung«, lobte Kyksi, legte den Kopf schräg und beobachtete den Weihnachtsmann, der zum Speicher ging, aus der Getreidekiste fünfzehn Körner abzählte und sie dem Vögelchen anbot.
    »Du glaubst doch wohl nicht, dass ich die so fresse!«, empörte sich Kyksi.
    »Ach! Soll ich dir Brei kochen?«
    »Vögel mögen keinen Brei. Du musst die Körner zerquetschen, sonst sind sie zu hart zum Schlucken. Aber vorsichtig, damit sie nicht zu Mehl werden, sondern zu platten, leckeren Graupen.«
    Der Weihnachtsmann zerdrückte die Körner behutsam zwischen zwei Steinen und bot sie erneut der Sumpfmeise an, die jedes Korn einzeln aufpickte und in ihrem schmalen schwarzen
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