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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)
Autoren: Clara Salaman
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in der Ecke. Auf dem Tresen stand ein Fernseher, in dem leise die Übertragung eines Cricketspiels lief; es war das erste Testspiel in Edgbaston, und die Mannschaft der Karibischen Inseln machte aus ihren englischen Gegnern Hackfleisch. Johnny war noch nie einem Mädchen begegnet, das etwas für Cricket übrighatte, und verspürte einen eifersüchtigen Stich, als sie ihre Aufmerksamkeit auf den Fernseher richtete. Er war leidenschaftlicher Cricketfan. Sie erzählte ihm, dass sie sich die Spiele am liebsten im Radio anhörte, weil die Sprecher so großartig seien. Sie könne stundenlang im Bett lümmeln und Henry Blofelds affektierter, gedehnter Stimme lauschen. Johnny malte sich aus, wie sie im Bett fläzte und sich das Spiel anhörte, während er neben ihr lag, ihre Titten streichelte, ihren straffen, flachen Bauch bewunderte und seine Finger an ihrem Körper abwärtsgleiten ließ.
    Er sah zu, wie sie in ihrer Handtasche kramte, die eine Fülle an unwichtigem Kram zu beherbergen schien. Sie zog allerlei Gegenstände heraus und legte alles auf den Tisch vor sich: Armreifen, Kaugummi, mehrere Stifte und vollgekritzelte Zettel. Endlich fand sie, wonach sie suchte: ihre Geldbörse, die sie mit derselben Sorgfalt zu durchforsten begann. Kaum zu glauben, wie jemand dermaßen viel Zeug mit sich herumschleppen konnte. Der Inhalt seiner Taschen beschränkte sich auf einen Zehner und einen Schraubenschlüssel.
    »Das ist er«, erklärte sie mit einem Anflug von Ehrfurcht und zog ein reichlich zerknittertes Foto heraus. Johnny betrachtete es: Es zeigte einen großen, schlanken Mann mit einer Idiotenbrille und einer lächerlichen Fliege, der mit einem Schläger in der Hand unter einer karibischen Palme stand. »Für Clemency«, stand quer über dem unteren Rand. »Alles Liebe, Henry Blofeld.« Johnny fand, dass der Typ wie ein kompletter Schwachkopf aussah. Allerdings hätte er nichts dagegen einzuwenden, wenn sie mit dieser Bewunderung über ihn sprechen würde.
    »Meiner Ansicht nach«, erklärte Clem und sah wieder zum Spiel hinüber, wo Botham gerade einen Sechserschlag gelandet hatte, »hat Botham England im Alleingang vor der ultimativen Blamage bewahrt.«
    Lächelnd stand Johnny auf und klopfte seine Taschen nach Kleingeld für die Jukebox ab. »Ich find’s gut, dass du so klare Ansichten hast.«
    Einen Moment lang schien sie nicht sicher zu sein, ob das als Kritik gemeint war. »Na ja, ich bin aber bereit, sie auch mal zu ändern«, erklärte sie voller Optimismus. Was stimmte. Auf den ersten Blick schien sie stets eine klare Meinung zu vertreten, doch bei genauerem Hinsehen stellte sich heraus, dass ihre Ansichten lediglich Testballons waren, die sie aufsteigen ließ, um herauszufinden, wie es sich anhörte, wenn sie sie zum Besten gab. Manchmal war sie sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt eine eigene Meinung hatte.
    Dass er über sie lachte, war jedenfalls nicht ihre Absicht gewesen. Sie sah ihm nach, als er breit grinsend zur Jukebox schlenderte und sich gegen den Rahmen lehnte, um seine Wahl zu treffen. Er sah so unglaublich gut aus und so vertraut, als wäre es gerade erst eine Woche her, seit sie in Cornwall am Strand gesessen hatten. Ihr wurde bewusst, dass seine Gegenwart exakt dasselbe Gefühl in ihr heraufbeschwor wie damals – eine eigentümliche Lebendigkeit.
    Er entschied sich für einen Song, den sie nicht kannte, kehrte an ihren Tisch zurück und setzte sich wieder neben sie, diesmal jedoch ein kleines Stück näher. Es gefiel ihr, dass er den Text kannte und zwischen zwei Schlucken Bier mitsang. Sie mochte seine Stimme. Ehrlich gesagt, mochte sie alles an ihm. Was auch immer passierte – dieser Song würde sie für den Rest ihres Lebens an ihn erinnern.
    Nach einer Weile stand er abermals auf und ging an die Bar, um noch eine Runde Bier zu holen. Während er wartete, tippte er im Takt von Oblivious von Aztec Camera mit dem Fuß auf den Boden. Inzwischen hatte sie den Song viermal nacheinander gedrückt. Er wünschte, er hätte ihn nie ausgesucht. Als er sich mit den Flaschen in der Hand umwandte, sah er, wie sie schnell den Daumen aus dem Mund nahm. Einen Moment lang machte es ihn verlegen, weil er sie erwischt hatte. Er hatte völlig vergessen, dass sie am Daumen lutschte, doch nun fiel ihm wieder ein, wie sie in Cornwall ständig daran genuckelt und sich mit der anderen Hand gedankenverloren selbst gestreichelt hatte.
    Aber es spielte keine Rolle. Er war sowieso längst hin und weg von
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