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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)
Autoren: Clara Salaman
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ging.
    Er hätte sie küssen können, doch sie löste sich von ihm und ließ sich von der Strömung erfassen.
    Auch sie hatte es gespürt. Sie schwamm auf dem Rücken, ergab sich den Fluten, angenehm überrascht von dem, was gerade vorgefallen war, von dieser neuen Empfindung in ihrem Körper, so feucht und prickelnd. Sie fühlte sich lebendig. Etwas hatte sich in ihr verändert, hatte die Kindlichkeit ein Stück weit in den Hintergrund treten lassen. Sie ließ sich von den Wellen umspülen, die sie in Richtung Strand trieben. Mit einem Mal war sie sich ihrer Nacktheit überdeutlich bewusst. Sie sprang aus dem Wasser und lief durch die Brandung zum Strand zurück.
    Wenig später saßen sie nebeneinander und blickten wortlos aufs Meer hinaus, tropfnass und durch eine neu gewonnene Intimität miteinander verbunden. Sie trug seinen Pulli, der formlos an ihrem zierlichen Körper herabhing. Sie zog die Knie an und legte ihr Kinn darauf, um sich zu wärmen, während ihr die Tropfen über die Wangen kullerten.
    »Glaubst du, da draußen gibt es Ungeheuer?«, fragte sie und spähte mit zusammengekniffenen Augen zum Horizont.
    »Ja«, antwortete er. »Wieso auch nicht?«
    Das gefiel ihr. Sie glaubte fest daran, dass es Ungeheuer gab. Sie glaubte an so ziemlich alles.
    »Der rote Punkt dort könnte ein Auge sein«, sagte sie und zeigte auf einen Punkt in der Ferne.
    »Oder ein Fischerboot.«
    »Da ist ein grünes!«
    »Das ist ein und dasselbe. Sie wendet.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Das rote Licht ist auf der linken Seite des Boots, also backbord, und das grüne steuerbord, also auf der rechten Seite. Jetzt ist es weiß, das ist das Heck. Sie fährt hinaus. Nach Westen.«
    »Und wohin?«
    »Zum Fischen.«
    »Das weiß ich auch. Ich habe gemeint, wo genau das Boot landen würde, wenn es immer weiterfahren würde.«
    »In Amerika, schätze ich. Nein, sogar Kanada.«
    »Wow.« Sie nuckelte an einer nassen Haarsträhne. »Warst du schon mal in Amerika?«
    »Nein, bisher nicht. Aber eines Tages werde ich hinübersegeln.« Es gefiel ihm, wenn sie ihn so ansah, gewissermaßen ihr helles Licht auf ihn warf. Er wünschte, sie würde nicht wieder wegsehen.
    »Ehrlich?«
    »Klar. Ich baue mein eigenes Boot, ein Einrumpfboot, eine Ketsch – natürlich aus Holz, mit Decks aus Teakholz, doppelendig. Sie wird das schönste Boot auf dem ganzen Ozean sein. Und dann segle ich auf ihr um die ganze Welt, ganz allein.« Er musste ein bisschen angeben. Aber es war die Wahrheit, denn er würde es tun, das stand außer Frage.
    Sie starrte ihn an, während sie wieder dieses komische Gefühl überkam, so wie vorhin, als sich etwas in ihrem Inneren verändert hatte. Was auch immer es gewesen sein mochte, es hatte eindeutig etwas mit ihm zu tun. Es war, als würde er sie in- und auswendig kennen, als bestünde eine tiefe Verbindung zwischen ihnen. Er war in jeder Hinsicht so, wie sie gern sein wollte – einer, der die Dinge in die Hand nahm, ein Abenteurer. »Darf ich mitkommen, Johnny? Darf ich mit dir um die Welt segeln?«
    Er lachte. »Aber dann wäre es ja keine Alleinumsegelung mehr.«
    »Ist doch egal. Dann ist es eben eine Zweierumsegelung.«
    Lächelnd zog er seinen Tabak aus der Tasche. »Na ja, mal sehen.«
    »Los, dreh uns eine«, sagte sie, völlig aus dem Häuschen, weil sie eine Art Arrangement getroffen hatten. »Eine dicke, so wie die, die ihr heute Nachmittag in den Dünen geraucht habt.«
    »Rauchst du?«, fragte er. Es gefiel ihm, dass sie ihn beobachtet hatte.
    »Nein, noch nicht. Wieso hast du ›sie‹ gesagt, Johnny?«
    Er wandte sich ihr zu, mit dem Rücken zum Wind, damit der Tabak nicht weggeweht wurde. »Wegen der Form. Boote sind kurvig und elegant. Wie Frauen.«
    »Oh!«, sagte sie. »Bin ich auch kurvig und elegant?«
    »Na ja, du bist erst elf.«
    »Stimmt«, gab sie ärgerlich zurück. Elf war ein beschissenes Alter, weil man weder das eine noch das andere war. »Und dreiviertel.«
    »Das ändert natürlich alles.«
    »Ich hab einen Freund«, fuhr sie fort, als würde sie das noch ein bisschen älter machen.
    »Echt?«
    »Ja. Roger Benson. Wir haben auch schon geknutscht. Mit Zunge und allem.«
    Johnny stieß einen Pfiff aus. »Cooler Typ, dein Roger.«
    Eine Hand um die Schachtel gelegt, riss er ein Streichholz an. Die kleine Flamme blendete ihn für einen kurzen Moment. Er spürte ihren Blick. Es gefiel ihm. Er zog an der Zigarette, dann stieß er den Rauch aus und reichte sie ihr. Ihre Finger waren klamm
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