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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt
Autoren: China Miéville
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Wichtiges. Kann warten.«
    »Ich möchte, dass Sie für die nächste Zeit wieder zu uns kommen. Haben Sie noch Kontakte hier?« Sie schürzte die Lippen. »Zapfen Sie sie an, falls möglich. Falls nicht, sprechen Sie mit den hiesigen Kollegen, lassen Sie sich die Namen ihrer Informanten geben. Ich brauche Sie vor Ort. Hören Sie sich um, klopfen Sie an die Türen - wie heißt die Anlage hier noch?«
    »Pocost Village.«
    »Richtig. Jedenfalls, sehen Sie zu, was Sie herausfinden können.«
    »Meinem Vorgesetzten wird das nicht gefallen.«
    »Ich rede mit ihm. Kommissar Bashazin, richtig?«
    »Sie regeln das? Ich werde abgeordnet?«
    »Inoffiziell, vorläufig. Fürs Erste bitte ich Sie nur darum, dass Sie sich um diesen Fall kümmern, ausschließlich. Sie berichten nur mir.« Ich gab ihr die Nummer meines Handys und meines Büroanschlusses. »Später können Sie mir die Sehenswürdigkeiten Kordvennas zeigen. Und ...« Ich richtete den Blick auf Naustin, sie bemerkte es. »Achten Sie darauf, dass sich keiner verrennt.«
    »Wahrscheinlich hat er recht. Wahrscheinlich ist es die Tat eines Sadisten.«
    »Mag sein. Finden wir heraus, weshalb sie so viel Wert auf Haarpflege gelegt hat.«
    Mit dem Instinkt in der Kriminalistik ist das so eine Sache. Es gab eine Rangliste. Während Kommissar Kerevan in seiner aktiven Zeit nicht wenige Fälle dadurch löste, dass er wider jede Vernunft völlig absurd erscheinende Spuren verfolgte, hatte Chefinspektor Marcoberg, dem plötzliche Erleuchtungen versagt blieben, sich seine beachtlichen Erfolge mit Beharrlichkeit und stoischem Fleiß erarbeitet. In unseren Reihen war es verpönt, unerklärliche kleine Geistesblitze als »Intuition« zu bezeichnen, um nicht die Aufmerksamkeit des Universums auf sich zu ziehen. Aber es gab sie, und wenn man sah, wie ein Kollege oder eine Kollegin seine oder ihre Fingerspitzen küsste und sich an der Brust berührte, wo möglicherweise ein Warsha, ein dem Schutzheiligen rätselhafter Inspirationen geweihtes Amulett, hing, dann wusste man, dass einer dieser Geistesblitze ganz in der Nähe eingeschlagen hatte.
    Die Polizisten Shushkil und Briamiv waren verdutzt, dann aufgebracht, endlich gekränkt, als ich wissen wollte, was sie sich verdammt noch mal dabei gedacht hätten, die Matratze wegzunehmen und damit den Tatort zu verändern. Ich nahm mir vor, sie zu melden. Hätten sie sich entschuldigt, hätte ich die Sache auf sich beruhen lassen. Leider war es ein alltägliches Ärgernis, das Sohlenprofil eines Polizeistiefels im Blut eines Mordopfers zu finden, verschmierte und damit unbrauchbare Fingerabdrücke, verunreinigte oder verlorengegangene Faser-, Gewebe- und sonstige Proben.
    Eine kleine Gruppe von Reportern sammelte sich am Rand der Freifläche. Petrus Sowieso, Valdir Mohli, ein junger Kerl namens Rackhaus und noch ein paar andere.
    »Inspektor!« »Inspektor Borlú!« Sogar: »Tyador!«
    Früher waren die Vertreter der Presse zumeist höflich gewesen und kooperativ, wenn ich darum bat, diese oder jene Information zurückzuhalten. In den letzten Jahren hatten neue, schlüpfrige und aggressive Gazetten den Markt erobert, lanciert und in manchen Fällen kontrolliert von Pressemagnaten aus Großbritannien oder Nordamerika. Eine unvermeidliche Entwicklung, und um der Wahrheit die Ehre zu geben, unsere etablierten Zeitungen waren bieder bis langweilig. Störend wirkte nicht so sehr der Trend zu reißerischer Berichterstattung, auch nicht das oft nassforsche Auftreten der jungen Reporter, sondern vielmehr deren Tendenz, an Floskeln festzuhalten, die lange vor ihrer Geburt geprägt worden waren. Rackhaus zum Beispiel, der für ein Wochenmagazin namens Rejal! schrieb. Jedes Mal, wenn er mich wegen Fakten bekniete, von denen er wusste, dass ich sie ihm nicht geben würde, jedes Mal, wenn er versuchte, jüngere Beamte zu bestechen, hin und wieder mit Erfolg, diente ihm als Argument und universelle Rechtfertigung der alte Schlachtruf: »Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information!«
    Als er mir das zum ersten Mal entgegenschleuderte, hatte ich nicht einmal verstanden, was er damit meinte. In Besź ist »Recht« ein relativ polysemisches Wort, und mir erschloss sich nicht auf Anhieb die dezidierte Bedeutung, die er im Sinn hatte. Ich musste den Spruch in Gedanken ins Englische übersetzen, das ich einigermaßen fließend beherrsche, um zu begreifen, was er mir sagen wollte. Das Klischee war ihm wichtiger als die Kommunikation. Wahrscheinlich war er erst
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